Internationales Musikfestival JANÁCEK BRNO – „Happy Birthday Leos“

Zum fünften Mal hieß es in Brno (CZ), Brünn, Vorhang auf für den großen Komponisten Leos Janacek. Sein Gesit ist allerorts spürbar und der Kulturtourist wandelt auf seinen Spuren. …

BildDas Internationale „Janácek Brno“ 2014 Festival fand vom 21. bis 29. November in der tschechischen Stadt Brünn/Brno unter dem Titel „Happy Birthday Leos“ statt. Besucher erlebten Vorstellungen europäischer Musik-Theater wie die Oper Graz und das Kroatische Nationaltheater Zagreb in einem Mix mit dem Nationaltheater Prag, dem Nationaltheater Brünn, dem Mährisch-Schlesischen Nationaltheater, dem größten und gleichzeitig ältesten professionellen Theater aus dem tschechischen Ostrava. Auf dem Programmzettel standen Opernvorstellungen, Konzerte, Matineen, Ausstellungen …

Leos Janácek, geboren 1854 im mährischen Hukvaldy, schlägt zunächst eine pädagogische Laufbahn ein: 1869 nimmt er seine Studien an der Slawischen Lehrerbildungsanstalt im Minoriten-Kloster in Brünn auf, an der er drei Jahre später seinen Dienst als Lehrer antritt. Seine Ausbildung als Komponist erhält er durch sein 1874 begonnenes Studium an der Prager Orgelschule sowie durch zwei nach kurzem Aufenthalt abgebrochene Studien in Leipzig und Wien. Dieser Abbruch findet auch kompositorisch seinen Niederschlag in der Ablehnung der westlich geprägten Formästhetik. Janácek sucht schon früh nach eigenen, dramatischen Ausdrucksmöglichkeiten: „Die Kunst dramatischen Schreibens besteht in der Komposition einer melodischen Kurve, die plötzlich wie durch Zauberei ein menschliches Wesen in einer fest umrissenen Phase seiner Existenz enthüllt.“

2014 fand im November die fünfte Ausgabe des Janacek Festivals im tschechischen Brno statt. In der Brünner Musikgeschichte jedoch spielt die Vier eine bedeutende Rolle. Im Jahr 1884 wurde das Brünner Nationaltheater eröffnet, der Begründer des tschechischen Musiklebens Bedrich Smetana lebte von 1824 bis 1884, im Jahr 1904 starb Antonin Dvorák, während Josef Suk 1874 geboren wurde, und zu den weiteren Komponisten, in deren Lebensdaten sich eine Vier befindet, gehören Christoph Harant von Polschitz, Frantisek Václav Mica, Emil Frantisek Burian, Jan Rychlik, Karel Kryl oder Jan Klusák. 1944 bedeutete Trauer. In diesem Jahr fielen die jüdischen Komponisten Pavel Haas, Viktor Ullmann und Hans Krása dem Terror der Nationalsozialisten zum Opfer.
Für das Festival Janácek Brno standen 2014 diesmal jedoch gleich mehrere Feiertage an, darunter der 160. Geburtstag Janáceks. Das Festival Janácek Brno will feiern, wie schon der Untertitel „Happy Birthday Leos“ andeutet, zusammen mit den Werken des Komponisten, der Stadt und zahlreichen Freunden. Das „Internationale Janácek Festival Brünn“ bringt mit diesem Projekt den Komponisten alle zwei Jahre zurück an den Ort, an dem er die meiste Zeit seines Lebens verbracht hat und wo der bedeutendste Teil seiner Werke entstanden ist. Das geht einher mit dem wichtigen Faktor eines subtilen Kultur-Tourismus in einer Stadt, die von ihrem Genius beeinflusst wird.

Martin Rohr hinterfragt Leos Janácek als „eine Randfigur der Musik des beginnenden 20. Jahrhunderts“. Auf die Frage nach der Wirkung der Musik Leos Janáceks in den 50 und 60er Jahren bekennt der Dirigent Gerd Albrecht, man sei damals zu sehr mit dem traditionellen Repertoire und der Neuen Musik beschäftigt gewesen: „Der erste, der rehabilitiert wurde, war Gustav Mahler. (…) Dann arbeitete man die Zweite Wiener Schule wieder auf – Schönberg, Berg, Webern. (…) Als man damit fertig war, haben die meisten Schluss gemacht.“
Auch heute noch führt der mährische Komponist – trotz seines Ranges als tschechischer Nationalkomponist – ein Schattendasein im gängigen Konzertrepertoire: Am ehesten wird noch die Oper „Jeji pastorkyna“ („Ihre Stieftochter“), international bekannt unter dem von Max Brod geprägten Titel „Jenufa“, gespielt – ein Werk, das eher den Beginn als die Vollendung der kompositorischen Individualität Leos Janáceks repräsentiert. Die über 20 Jahre später entstandenen, oftmals schroffen und eigenwilligen Spätwerke wie die Oper „Aus einem Totenhaus“ oder seine beiden Streichquartette finden wesentlich seltener den Weg auf das Konzertpodium bzw. die Opernbühne. Eine Ausnahme ist hier seine Orchesterkomposition „Sinfonietta“.

In die Reihe der Gratulanten reihte sich auch das international bekannte Kronos Quartett ein, in dessen Programm sich auch ein Werk des herausragenden Vertreters der Minimal Music Steve Reich befindet, der seine Inspiration u.a. aus Janáceks Musik geschöpft hat. Bei einem Symphoniekonzert wurden die „Variations orchestrales sur un thème de Janácek“ des bedeutenden französischen Komponisten Marc-André Dalbavie aufgeführt. Vor allem aber gab es Janacek.

Das Nationaltheater Brno hatte für die diesjährige Festivalausgabe die Premiere einer Neuinszenierung der Oper „Die Sache Makropulos“ in der Regie von David Radok vorbereitet. Es war Janacek ein Bedürfnis, auf die Frage nach dem Ende des Menschen, dem Sinn des Daseins und seines Erlöschens zu reagieren. Dies zeigt sich bereits im „Schlauen Füchslein“, wo Sterben und Geborenwerden Hand in Hand miteinander gehen und Janaceks pantheistische Weltsicht offenbar wird: Die Natur hat ihre Ordnung, die zwar grausam anmuten mag, doch ist sie logisch und die einzig denkbare. „Die Sache Makropulos“ behandelt die Frage, was geschieht, wenn eine solche Ordnung künstlich aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Das Schicksal eines Menschen, der 300 Jahre lebt, wird unerträglich, er verliert den Sinn seiner Existenz und seinen Glauben. Ein opulentes Bühnenbild von Zuzana Jezkovám und Ondrej Nekvasil, das nach einem langatmigen statischen Kanzlei-Ambiente glücklicherweise aufriss und so in etwa die Zeitsprünge in den 300 Jahren erahnen ließ. In der Rolle der Emilia Marty brillierte Gitta-Maria Sjöberg. Ihr zur Seite stand eine ebenbürtige Gruppe ausgezeichneter Solisten.

Dieses Geburtstagsjahr „fällt mit großen Herausforderungen zusammen, die an diejenigen gestellt werden, die die Tradition dieses Landes erhalten und weiterentwickeln sollen, und die Opern in ganz Europa teilen“, so hatte Opera Europa, ein Dienstleister für professionelle Opernhäuser und Opernfestivals in Europa zeitgleich zum Festival seine Mitglieder zu einer Konferenz geladen. Als europäischer Dachverband bietet Opera Europa zurzeit seine Dienste 148 Mitgliedern in 39 verschiedenen Ländern an. „Musik spielt in der tschechischen Geschichte eine entscheidende Rolle. Sie ist auch heute ein zentraler Pfeiler der tschechischen Identität und ein Exportschlager. Allerdings ist auch sie nicht gegen den bekannten wirtschaftlichen Druck des 21. Jahrhunderts gefeit. Tschechische Theater ringen um neue Geschäftsmodelle, die die Suche nach privaten sowie öffentlichen Geldern vereinen. Die traditionellen Werte eines etablierten Ensembles werden dem Wettbewerb des freien Marktes ausgesetzt. Kartenverkaufsstrategien müssen neu durchdacht werden. Ganz so wie auch anderswo in Europa.“ Opera Europa nahm sich in Brno des tschechischen und internationalen Problems an um Gedanken zu Lösungen gemeinsam zu entwickeln.

„Bemerkenswert ist der besondere Rang, der dem Komponisten heuer von der musikwissenschaftlichen Zunft für die Entwicklung der Musik des 20. Jahrhunderts zugebilligt wird. Diese Diskrepanz zwischen musikgeschichtlichem Stellenwert und geringer Popularität beim Publikum ist nur einer von zahlreichen Widersprüchen bezüglich der Person Janáceks, die Meinhard Saremba in seiner neu erschienenen Biographie „Leos Janácek – Zeit – Leben – Werk – Wirkung“ nachzeichnet“ (M.Rohr). Nach langen Jahren, in denen Janácek nur eine lokale Größe seiner Heimatstadt Brünn ist, gelangt er erst spät – mit der Erstaufführung seiner Oper „Ihre Stieftochter“ (Jenufa), die 1904 in Brno uraufgeführt wurde, in Prag im Jahre 1916 und Wien 1918 zu internationaler Anerkennung.

Der 110. Uraufführungsgeburtstag von „Jenufa“ erhielt den Glanz durch ein Gastspiel der Oper Graz. Das Orchester unter Dirk Kaftan gab einen perfekten Janacek in der lebendigen Regie von Peter Konwitschny. Unter den allemal guten Solisten seien Iris Vermillion als Küsterin und Ales Briscein als Laca besonders erwähnt. Graz ist es sich und dem Publikum wert. In der „unendlichen“ Tiefe der offenen Bühne von Johannes Leiacker verloren sich zwar die Stimmen ein wenig im Bühnenraum des riesigen Brünner Janacek Theaters. Besser wäre ein minimaler Audioeinsatz gewesen (verm. bei Makropulos raffiniert eingesetzt).

In langen Jahren des Suchens und Ausprobierens, in denen Janácek nach den Wurzeln „wahrer“ Musik sucht, erforscht er auf Reisen die Volksmusik seiner mährischen Heimat, die in Form von direkt zitierten Volksliedern in seinem frühen Opernversuch „Der Anfang einer Romanze“ zum musikalischen Grundstoff wird. Mit den Veröffentlichungen von Volksliedsammlungen wird er zum Vorreiter für entsprechende Studien Bela Bartoks und Zoltan Kodalys. Im Festival kam Bartoks 1. Klavierkonzert zur Aufführung, worüber Janácek mit seinem Schöpfer lange Diskussionen geführt hat.

„Alice in Bed“ entstand 2007 aus einem Kreativ-Kurs zeitgenössischer Musik in England. Zur Mitarbeit an der Oper zog Markéta Dvoráková noch Ivo Medek hinzu. Von ihrem ursprünglichen Vorhaben – einem Libretto nach einem Text von Susan Sontag – kamen sie allmählich wieder ab, da die Vorlage den beiden Autoren zu düster und depressiv erschien. Sie behielten nur einige lichte Augenblick bei (die Verweise auf Alice im Wunderland und hinter den Spiegeln) und beschlossen, einen vollständig neuen Text zu schreiben, welcher der träumerisch fantastischen Stimmung in der Operndarstellung mehr Platz einräumen sollte. Erst als all dies vereinbart war, entstand das eigentliche Libretto aus der Feder von Sjaron Minailo und Anne Daschkey. Mit dem fertigen Text erarbeiteten die Autoren die Musik im Team. Ihre Weltpremiere hatte die Oper im Frühling dieses Jahres in Brno. Bestandteil der multimedialen Komposition ist auch ein Videofilm, den der Computerspielautor Lukás Medek produzierte.
Rocc, künstlerischer Leiter der Oper Ljubljana, der auch für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, bettete das Geschehen um das Leben der Alice, einer erfolgreichen Designerin von Computerspielen, die in ihrem künstlerischen wie privaten Leben innerlich zerrüttet ist, in ein adäquates Umfeld zeitgenössischer Cyberrealität. Er visualisierte das Insichhineinblicken, das Erfahren der inneren Zerrüttung als einen Teil der eigenen Identität in der westlichen Zivilisation und gestaltete drei verschiedene Typen, Kind sein, wach Sein und Traum. Ein spannendes Unterfangen im Sinne des Festivals, auch der neuen Musik (besonders von tschechischen Künstlern) ein Podium im anregenden Ambiente von Altmeister Janacek zu bieten.

Ein Teil des Festivals wendet sich an Kinder und Eltern: Es wurden Janáceks Kinderreime mit einer begleitenden Filmprojektion aufgeführt, das Prager Nationaltheater gastierte mit einer Inszenierung des Schlauen Füchsleins unter der Regie von Ondrej Havelka. Zu dieser Oper war eine Geburtstags-Ausstellung installiert, da sie ihre Premiere vor 90 Jahren am 6. November 1924 hatte. Ein weiteres schlaues Füchslein, „The Cunning Little Vixen“, stand auf dem Festivalprogramm im sehr schön und neu gestalteten Theater an der Orli Straße, eine liebenswert lobenswerte Kammer-Produktion der Musikfakultät der Janácek Akademie für Darstellende Künste, Brno. Ausgezeichnet in Szene gesetzt von Jung-Regisseur und Akademie Absolvent David Kriz. Die begabte Sängerin Marta Reichelova als „Füchslein“ verzauberte das Auditorium mit Stimme, Darstellung und Bühnenpräsenz. Ein überaus gelungener Abend.

Das mit Ausstellungen, Matineen, Kammerkonzerten, einer Konferenz und mit Highlights gespickte Festival 2014 „würde sicherlich dem Komponisten, der den Namen unserer Stadt in aller Welt bekannt gemacht hat, große Freude bereiten“, so die Veranstalter. Es ist ihr erklärtes Ziel, den Namen Brünn mit Janácek zu verbinden so wie Salzburg in einem Atemzug mit Mozart oder Bayreuth und mit Wagner genannt wird. Ein hohes Ziel, wozu dem jungen Festival der lange Atem gewünscht sei, sich dahingehend zu etablieren.

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