Luxemburg/Berlin (DAV). Für Flüchtlinge besteht in der Europäischen Union die Möglichkeit, im Rahmen der Familienzusammenführung den Nachzug ihrer Kinder zu beantragen. Für diesen Familiennachzug müssen die Kinder bei Antragstellung minderjährig sein. Erreichen sie die Volljährigkeit während des laufenden Verfahrens, ändert das nichts an der Zulässigkeit des Antrags.
Der Vater lebt in Belgien, wo er als Flüchtling anerkannt ist. Für seine drei minderjährigen Kinder stellte er 2012 bei der belgischen Botschaft in Guinea, dann 2013 bei der im Senegal Anträge auf die Genehmigung des Aufenthalts zur Familienzusammenführung. Beide Male ohne Erfolg. 2014 lehnten die belgischen Behörden die Anträge ab.
Der Mann klagte, doch der Rat für Ausländerstreitsachen (Conseil du contentieux des etrangers) entschied ebenso. Das Rechtsschutzinteresse müsse zum Zeitpunkt der Klageerhebung vorhanden sein und während des gesamten Verfahrens fortbestehen. Die Kinder seien jedoch am Tag der Verkündung der Entscheidung des Rats bereits volljährig gewesen. Daher erfüllten sie nicht mehr die Voraussetzungen, die in den Bestimmungen zur Regelung der Familienzusammenführung für Minderjährige vorgesehen sind. Letztlich entschied der belgische Staatsrat (Conseil d“etat), die Frage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
EuGH-Richter zum Familiennachzug
Die EuGH-Richter entschieden zugunsten des Vaters. Ausschlaggebend sei der Zeitpunkt des Antrags, nicht der der Entscheidung. Auch wenn das Kind während des laufenden Verfahrens volljährig werden, sei der Antrag deswegen nicht unzulässig.
Familienzusammenführung: Kindeswohl steht im Mittelpunkt
Die EU-Richtlinie habe das Ziel, Familienzusammenführung zu begünstigen und ferner Drittstaatsangehörigen, insbesondere Kindern, Schutz zu gewähren. Die Auslegung der Richtlinie müsse „im Licht des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens in Verbindung mit der Pflicht zur Berücksichtigung des Wohls des Kindes“ erfolgen. Die Richter verwiesen auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die besagt, dass jedes Kind Anspruch hat „auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen…“
Der Rat für Ausländerstreitsachen habe die Klagen erst drei Jahre und neun Monate nach ihrer Erhebung abgewiesen. Wäre also das Alter des Kinds zum Zeitpunkt der Entscheidung ausschlaggebend, könnte keine gleiche und vorhersehbare Behandlung aller Antragsteller gewährleistet werden. Es könnte zu großen Unterschieden bei der Bearbeitung von Anträgen auf Familienzusammenführung kommen.
Gerichtshof der Europäischen Union am 16. Juli 2020 (AZ: C-133/19, C-136/19 und C-137/19)
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