In diesem Jahr zelebrierte das Staatliche Theater die 23. Ausgabe des jährlichen Festivals The Magic Curtain, was unbedingt einen Besuch im Mai wert machte … (von Dieter Topp)
Man muss einige Strapazen auf sich nehmen, um ins bulgarische Targowischte zu gelangen. Ca. 340 km nordöstlich von Sofia liegt die etwas mehr als 32.000 Einwohner zählende, geschichtsträchtige Stadt mit Kupfersteinzeit, thrakischer, römischer, byzantinischer Vergangenheit. Reste einer Siedlung aus dem Ersten und Zweiten Bulgarischen Reich wurden gefunden. 1878 endete dann die osmanische Herrschaft und 1934 schließlich wurde die Stadt in Targowischte umbenannt.
In diesem Jahr zelebrierte das Staatliche Theater die 23. Ausgabe des jährlichen Festivals The Magic Curtain, was unbedingt einen Besuch lohnte. Theater-Chef Vladimir Petkov hatte bereits zum zweiten Mal seinem jungen Regisseur Denislav Yanev die Ausrichtung und Leitung des „Festivals für junge Menschen“ Weise überlassen.
Aus Griechenland waren Amalia Kondoyanni und aus Tschechien Jan Janek Jirku seiner Einladung gefolgt, die zusammen mit Ina Bojidarova (Bulgarien) die diesjährige Jury des Wettbewerbs um die besten Aufführungen bildeten. (Der letztjährigen rumänisch-bulgarischen Dramaturgin Aglica Oltean war es zu verdanken, dass in diesem Jahr der Chronist einen Blick hinter den „Magischen Vorhang“ zu werfen sich anschickte.)
Beinahe einem Volksfest glich die Eröffnung mit Bürgermeister, einem orthodoxen Priester, Orchester, Tambour-Girl-Parade, Theatergruppen aus nah und fern und einem begeisterten Publikum, einer großen bunten Schar von jung bis alt, auf dem Sonnen beschienenen Vorplatz des Staatstheaters.
Denislav Yanev hatte gerufen, Theater- und Puppenspielgruppen aus Lovech, Yambol, Sliven, Veliko Tarnovo, Stara Zagora, Burgas, Plovdiv und Sofia waren seinem Ruf aus Bulgarien gefolgt.
Für reichlich Schnee im Publikum sorgte das Theater aus dem rumänischen Petrosani. Ebenfalls aus diesem Nachbarland gab sich zur Freude des Publikums und besonders der jungen Schauspieler aus Targovischte die international bekannte Autorin Elise Wilk die Ehre, deren Stück „Die grüne Katze“ aufgeführt wurde:
Die Geschichte von sechs Teenagern und einer Samstagnacht in der Disco im Randgebiet einer Provinzstadt veränderte ihr Leben für immer, die Geschichte eines Mordes auf verschiedenen Ebenen in Form von Interviews mit den an dem Fall Beteiligten.
„Es geht um die Adoleszenz, ein Alter, in dem die Zerbrechlichkeit des emotionalen Gleichgewichts leicht zu einer Tragödie führen kann. Es geht um Liebe, um Freundschaft, aber vor allem um die Kraft der Fantasie, die uns hilft, der grauen Welt, in der wir leben, zu entkommen.“ (Fabulamundi.ro)
Weiter zu erwähnen galten BINDUNGEN, ein Bewegungstheater mit vier Schauspielern des Staatstheaters Targowischte, ausgezeichnet choreografiert von Nedelya Gancheva und bewegungstechnisch wunderbar interpretiert. Sie taten den ersten Schritt ins zeitgenössische Tanztheater. Die Latte lag hoch, man darf sich auf mehr freuen.
„Dunno in Sun City“ nach Nikolay Nosov, vom Staatlichen Puppentheater Plovdiv: Die Vorstellung war voll mit Youngsters. Sie brachten ihre Freude über das Stück lautstark zum Ausdruck.
Puppet’s Lab, Sofia: Ich, Sisyphus … inspiriert durch das Werk „Der Mythos von Sisyphos“ von Albert Camus, begab sich auf eine Reise der ewigen Rückkehr des Menschen zu sich selbst, der versucht zu entkommen, aber immer weitergeht, eine Spirale des Lebens, eine ewige Wiederholung.
Und dieses ständige Tun ließ uns nicht über den Sinn, sondern über die Sinnlosigkeit des menschlichen Lebens meditieren, man fragte sich, ob das wirklich wahr sei …
Nichtsdestotrotz ist diese Show ein Oldie but Goldiee, tourt seit 2013 von Festival zu Festival, oft nominiert und verdientermaßen oft ausgezeichnet. Man freute sich vielleicht auf etwas Neues und Aktuelles, aber es wird nicht einfach sein, diese Show zu ersetzen, man darf gespannt sein …
Das staatliche Puppentheater aus Stara Zagora, weit über die Grenzen Bulgariens hinaus bekannt, ließ mein Herz mit Hand to God höher schlagen:
Im Freizeitraum einer Kirche in Cypress, Texas, führt Margery mit ihren Schülern ein Puppentheater auf, um den Glauben zu stärken und Satan zu entsagen, so wie es nur in einer amerikanischen, südstaatlichen Kirche der Fall sein kann. Doch als die jungen Mitglieder des christlichen Puppentheaters diese Lehren in die Praxis umsetzen, übernimmt die Puppe eines frommen jungen Mannes die Regie.
In urkomisch schwarzer Manier lehrte eine unflätige Sockenpuppe bald, dass die Triebe einen Menschen dazu bringen können, seinen dunkelsten Wünschen nachzugeben. Und das funktionierte.
Nach dem Gebrüll des Publikums zu urteilen, gelang es Hand to God, seine größeren Anliegen unter dem Deckmantel des schmutzigen Puppenspiels zu verbergen. Mit diesem Stück, einer „wahren Tour de Force“ (New York Times), hat Robert Askin ein Stück gefeierter Off-Broadway-Aufführung geschrieben. Unflätig, böse, schmutzig und wunderbar! Danke!
Und dann noch und unbedingt der absolute Gewinner des Festivals und der Jury:
CIPOLLINO (nach Rodari), der Kampf der Unterklasse gegen das Mächtige, das Gute gegen das Böse und die Bedeutung von Freundschaft angesichts großer Schwierigkeiten, vom Atelier 313, Sofia, überraschte mit einer rasant gespielten Inszenierung in einem Bühnenbild aus reinem Trash zum Thema Revolution, die letzten Mohikaner der Barrikaden, oder wie werde ich ein Held? … oder vielleicht doch nicht so!
Ein Mutmacher für Jung und Alt. Hier wurde kraftvolles Theater geboten, nicht nur für junge Menschen, mit spielerisch erziehendem Charakter, ohne belehrend zu sein.
Die Reise nach Targowischte war lohnend, die Mitwirkenden, die genannten Stücke, die Interpreten, beziehungsweise Puppenspieler, die Theater, sind mir bis heute als lebhafte Erinnerungen geblieben. Leider konnte nicht alles aus diesem Festival hier benannt werden.
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