Die 13. Ausgabe der Internationalen Begegnungen im rumänischen Nationaltheaters Cluj-Napoca fand vom 16. bis 20.10.24 statt. Das aktuelle Thema der diesjährigen Ausgabe lautet „Andersartigkeit“.
(von Dieter Topp) „In den jüngsten Inszenierungen des Nationaltheaters wurde „Anderssein“ auf subtilere oder offenere Weise aufgegriffen und sollte zum Nachdenken über grundlegende Fragen anregen: Wer ist der Andere – der Fremde und zugleich mein Mitmensch -, mit dem ich diese Existenz teile? Bin ich – ein Mensch des 21. Jahrhunderts – ein homogenes, einheitliches Wesen, oder kämpfe ich immer noch mit inneren Konflikten, Identitätsdilemmata und seelischen Problemen, die ich akzeptieren und zu heilen versuchen muss?
Was bedeutet es, mich in ihre Lage zu versetzen, der Andere zu sein, die Dinge aus einer anderen Perspektive, von außen, zu betrachten? Wer wäre ich, wenn ich ein anderer wäre? Kann ich die verschiedenen Rollen, die ich im täglichen Leben spiele, auseinanderhalten? Kann ich in unserer von Virtualität geprägten Gegenwart zwischen Fakt und Fiktion unterscheiden? Ist der andere so, wie ich ihn mir vorstelle? Bin ich das, was ich mir selbst vorstelle? Wie wirkt sich das alles auf mein Leben in der rumänischen, europäischen Gesellschaft von heute aus?“ (Stenana Pop-Curseu, künstlerische Leiterin)
Durch die Auswahl der Aufführungen und die ergänzenden Veranstaltungen bereitete das Festival Internationale Begegnungen in Cluj eine Plattform für den künstlerischen Dialog über diese grundlegenden Fragen und lud das lokale Publikum, Theaterspezialisten aus Rumänien und aus dem Ausland ein, nach Antworten zu suchen, die uns ein besseres Verständnis der Welt, in der wir leben, ermöglichen, und gleichzeitig die Zusammenarbeit bei der Suche nach tragfähigen Lösungen für eine gebildete, selbstbewusste Gesellschaft zu fördern, die ein Verantwortungsgefühl für die Zukunft entwickelt.
Auf dem Programm der Aufführungen auf der Hauptbühne des Nationaltheaters standen u.a: Twelfth Night or What You Will nach William Shakespeare in der Regie von Botond Nagy; Der Fußgänger der Luft von Eugene Ionesco in der Regie von Gabor Tompa; The King Stag von Carlo Gozzi in der Regie von Tudor Lucanu; We Bombed in New Heaven von Joseph Heller in der Regie von Laszlo Bocsardi.
Die Aufführungen im Euphorion Studio, der Spielstätte des Theaters für neue Dramatik und Theaterexperimente enthielten: Caesars letzte Liebe der zeitgenössischen rumänischen Autorin Horia Garbea in der Regie von Tudor Antofie; Herr Gherase verliebte sich in Clara Smith des jungen zeitgenössischen rumänischen Autors Cosmin Stanila, Regie: Doru Vatavului; Songs to Scare Off Fear, eine konzertante Performance von Ada Milea, basierend auf Ideen von Texten von Herta Müller; The Servants of Beauty, inspiriert von der Bhagavad Gita, Regie: Caglar Yigitolullari; B Category Goddesses von Alexandra Felseghi, Regie: Andrei Majeri.
Vier Stücke seien hier genauer benannt.
Das Anti-Vietnamkriegsstück We Bombed in New Heaven von Joseph Heller beschäftigte sich hoch aktuell angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine mit der Interpretation eines Theaterstücks auf der Bühne, in dem sich die Protagonisten nach und nach in eine echten Kriegssituation begaben und nicht mehr – ebenso wie das Publikum – zwischen Realität und Theaterfiktion unterscheiden konnten. Sie schlingerten zwischen Kriegsgegnern und Kriegsbefürwortern, zwischen Machtlust und Mordlust hin und her. Es ging letztlich soweit, dass ein eigenes Kind den Kriegsgelüsten zum Opfer fiel. Äußerst raffiniert und beeindruckend inszeniert von Laszlo Bocsardi.
Krieg und Zerstörung beschrieb Regisseur Gabor Tompa auf der schwarzen Seite des wunderbar farbenfroh beginnenden Fußgänger der Luft. Hier erhob sich der Protagonist in die Lüfte und entschwand. Aber der Flug an die Grenze von Zeit und Raum stürzte ihn in die schrecklichste existentielle Not. Nach seiner Rückkehr berichtete er von grauenhaften Ergebnissen: „Ich habe ganze Erdteile von Paradiesen in Flammen gesehen… Bomben, Bomben… unergründliche Höhlen klafften… tausende von Welten gingen unter… Millionen von Sternen barsten…“ Ein sehr gelungenes Stück, wie man es von Tompa erwartet.
Songs to Scare Off Fear, eine konzertante gelungene Performance von Ada Milea, basierend auf Ideen von Texten der Nobelpreisträgerin Herta Müller, die im Ceausescu – Rumänien nach dem Studium in einer Maschinenbaufabrik als Übersetzerin arbeitete. Weil sie sich weigerte, ihre Kollegen für den rumänischen Geheimdienst Securitate zu bespitzeln, verlor sie ihre Stelle, fand danach nur noch Aushilfstätigkeiten und geriet selbst ins Visier der Securitate. Es folgten Verhöre, Hausdurchsuchungen und Verleumdungen.
„Die Charaktere, die in der Erinnerung dieser Protagonistin leben, werden zu Erweiterungen ihres Seins, zu ständigen Präsenzen, entweder zärtlich oder bedrohlich. Obwohl der Zuschauer von heute in einer scheinbar anderen und fernen Realität lebt, zeigt die Aufführung die Universalität der Angst und die therapeutische Kraft der Hoffnung.“
Die Furcht sitzt auch heute noch sehr tief, obwohl sie 1987 nach Berlin ausreisen konnte, bekundete die Autorin in einem Interview. Diese resultierenden, tief sitzenden Ängste setzte Ada Milea adäquat genial musikalisch um.
In einer zunehmend düsteren Welt, mit Kriegen an der Grenze, setzte der in der Türkei geborene Künstler Caglar Yigitogullari die spirituelle Suche nach den letztjährigen Shamanischen Liedern/The Quest fort, mit einer Aufführung, die vom philosophischen Gedicht Bhagavad Gita inspiriert, einem Teil des großen hinduistischen Epos Mahabharata.
Sein Servants of Beauty verband alte Verse mit Rhythmen und melodischen Linien, einer Suche nach der symbolischen Geste in der physischen und vokalen Darbietung der jungen Darsteller. Trotz alledem eine Stunde Atempause, um innezuhalten, einen Dialog mit uns selbst und mit einer Göttlichkeit zu führen, um vielleicht eine unerwartete Öffnungen zu entdecken.
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