Arbeitsrecht: Diskriminierung wegen des Alters

Diskriminierung wegen des Alters bei unterschiedlich hohen Urlaubsansprüchen.
Verfasserin: Rechtsanwältin Sigrid Britschgi, Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf

Arbeitsrecht: Diskriminierung wegen des Alters

Sigrid Britschgi, Fachanwältin für Arbeitsrecht

Gewährt ein Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern jährlich mehr Urlaubstage als den jüngeren, kann diese unterschiedliche Behandlung wegen des Alters unter dem Gesichtspunkt des Schutzes älterer Beschäftigter nach § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG zulässig sein.
BAG, Urteil vom 21.10.2014, 9 AZR 956/12
(Leitsatz vom Verfasser)

Häufig wird älteren Arbeitnehmern (AN) im Vergleich zu ihren jüngeren Kolleginnen und Kollegen ein höherer Urlaubsanspruch gewährt. Jüngere AN fühlen sich dadurch aufgrund ihres Alters benachteiligt. Unter Berufung auf eine unzulässige Diskriminierung wurden bereits zahlreiche Klageverfahren geführt, deren Urteile bislang den Eindruck vermittelten, dass diese Argumentation erfolgversprechend ist.
Das BAG hat aber jetzt entschieden, dass ein Arbeitgeber älteren AN mehr Urlaubstage als den jüngeren gewähren darf. Im konkreten Fall hatten die in der Schuhproduktion tätigen Arbeitnehmer nach Vollendung des 58. Lebensjahres Anspruch auf jährlich 36 Arbeitstage Urlaub und damit 2 Tage mehr als ihre jüngeren Kollegen.
Diese unterschiedliche Behandlung wegen des Alters unter dem Gesichtspunkt des Schutzes älterer Beschäftigter ist nach § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG zulässig und stellt keine Diskriminierung (der jüngeren Beschäftigten) wegen des Alters dar. Die Klage einer 1960 geborenen Arbeitnehmerin auf ebenfalls 2 zusätzliche Arbeitstage wurde vom BAG daher abgewiesen.
Aufmerksame Beobachter der Rechtsprechung werden sich an dieser Stelle an eine – auf den ersten Blick anders lautende – Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2012 erinnern. In diesem Urteil vom 20.03.2012 – 9 AZR 529/10 – hat das BAG in einer tariflichen Regelung (TVöD) mit nach Lebensalter ansteigend gestaffelten Urlaubstagen eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters gesehen und den jüngeren Beschäftigten ebenfalls 30 Arbeitstage Urlaub zugesprochen. Der TVöD sah dazu in der früheren Fassung folgende Urlaubsregelung vor:
– bis zum vollendeten 30. Lebensjahr: 26 Arbeitstage
– bis zum vollendeten 40. Lebensjahr: 29 Arbeitstage und
– nach dem vollendeten 40. Lebensjahr: 30 Arbeitstage
Eine vergleichbare Entscheidung liegt mit dem Urteil des LAG Düsseldorf vom 18.01.2011 – 8 Sa 1274/10 – zu der früheren Regelung gestaffelter Urlaubsansprüchen nach dem MTV Einzelhandel NRW vor.
Der vermeintliche Widerspruch in den genannten Entscheidungen löst sich anhand folgender Kriterien auf:
Das AGG verbietet gemäß den §§ 1 und 7 AGG eine altersbedingte Diskriminierung von Arbeitnehmern. Damit ist nicht nur der Schutz älterer Arbeitnehmer gemeint. Das Verbot zielt in beide Richtungen, d.h. auch jüngere Beschäftigte dürfen wegen ihres (jüngeren) Alters nicht benachteiligt werden.
Aber nicht jede an das Alter anknüpfende unterschiedliche Behandlung stellt eine rechtswidrige Diskriminierung dar. Denn § 10 AGG erlaubt eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters, wenn sie
– objektiv und angemessen ist
– ein legitimes Ziel verfolgt und
– die Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, angemessen und erforderlich sind.

Die Kriterien sah das BAG in der Entscheidung vom 21.10.2014 als erfüllt an. Da mit zunehmenden Alter die Leistungsfähigkeit abnehme und die bei der Fertigung von Schuhen körperlich ermüdende und schwere Arbeit längere Erholungszeiten erfordere, seien 2 zusätzliche Urlaubstage für Beschäftigte ab dem 58. Lebensjahr sachlich gerechtfertigt und keine unzulässige Diskriminierung jüngerer Beschäftigter.

Der Unterschied zu den als diskriminierend angesehenen tariflichen Regelungen (BAG, Urteil vom 20.03.2012 und LAG Düsseldorf, Urteil vom 18.01.2011) liegt darin begründet, dass diese bei genauer Betrachtung keinen tatsächlichen Schutz älterer Arbeitnehmer beinhalten: es ist nicht ersichtlich, dass ein 30jähriger Beschäftigter mehr Erholungsbedürfnis als ein 29jähriger hat. Außerdem würde das Ziel des mit dem Alter zunehmenden Erholungsbedürfnisses verfehlt, wenn die Staffelung nach dem 40. Lebensjahr abschließt und damit einer steigenden Belastung des Alters jenseits dieses Lebensjahres nicht mehr Rechnung trägt.

Es bleibt die Frage, ab wann sich Arbeitnehmer auf eine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters bei Gewährung von mehr Urlaubstagen berufen können: Die oben genannten Entscheidungen lassen offensichtlich eine Bandbreite von 40 Jahren (unzulässige Diskriminierung) bis 58 Jahren (sachlich gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung) zu. Immerhin war die eingangs genannte Klägerin aus der Schuhfabrik zu Beginn des Rechtsstreits auch bereits 52 Jahre alt.

Das BAG verweist in seinem Urteil vom 21.10.2014 darauf, dass bei der Frage, wo die Altersgrenze gezogen wird und wie viele Mehrurlaubstage gewährt werden, ein Einschätzungsspielraum mit Bezug auf die Bewertung der betrieblichen Gegebenheiten besteht. Mit anderen Worten: Es ist nicht ausgeschlossen, dass das höhere Erholungsbedürfnis auch eine Altersgrenze von 52, 54 oder 56 Jahren gerechtfertigt hätte. Die Altersgrenze 58 Jahre ist aber nicht willkürlich und außerhalb des Einschätzungsspielraums.

Fazit:
Vom vermeintlichen Schema „nach dem Alter gestaffelte Urlaubsansprüche führen zu einer unzulässigen Diskriminierung jüngerer Beschäftigter“ müssen wir uns verabschieden. Jede Regelung bedarf einer rechtlichen Bewertung im Einzelfall, um die Erfolgsaussichten für eine Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber einschätzen zu können.

Autor und zuständig für Rückfragen:
Sigrid Britschgi, Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht


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