Der Mindestlohn ist da – Verrechnen oder nicht? (Serie – Teil 6)

Ein Interview von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck mit Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.

Bundestag und Bundesrat haben den sogenannten flächendeckenden Mindestlohn beschlossen. In dieser Serie von Interviews erklären die Fachanwälte für Arbeitsrecht Alexander Bredereck und Volker Dineiger, was der Gesetzgeber hier in die Welt gesetzt hat, für wen das Gesetz gilt und welche Auswirkungen dieses Gesetz hat. Teil 6 dieses Interviews beschäftigt sich mit der Frage möglicher Verrechnungen.

Fachanwalt Bredereck: Wir haben ja in den letzten Teilen über Anwendungsbereich und Inhalt des Gesetzes gesprochen. Heiß diskutiert wird im Hinblick auf die Vergütung, ob verrechnet werden kann und vor allem was verrechnet werden kann. Ist das jetzt der Sturm im Wasserglas oder hat der Arbeitgeber hier wirklich so viele Möglichkeiten?

Fachanwalt Dineiger: Das Mindestlohngesetz legt einen Mindestlohn von 8,50 € brutto je Zeitstunde Arbeitsleistung fest. In erster Linie bedeutet das, dass kein fester Monatslohn durch den Gesetzgeber bestimmt worden ist, sondern ein Stundenlohn. Das Mindestlohngesetz legt weiter fest, dass Vereinbarungen, die den Mindestlohn einschränken, ausschließen oder unterlaufen sollen, unzulässig sind. Es nützt also nichts, das Mindestlohngesetz zu ignorieren. Auch eine Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer, dass dieser auf den Mindestlohn verzichtet oder damit einverstanden ist, dass das bisherige Gehalt so weiter gezahlt wird, ist nicht zulässig.

Fachanwalt Bredereck: Was heißt das konkret?

Fachanwalt Dineiger: Auch unter dem Mindestlohngesetz wird eine Regelung in einem Arbeitsvertrag, die einen Bruttomonatsgehalt oder einen Bruttomonatslohn festlegt, nicht automatisch unwirksam. Allerdings muss für jeden einzelnen Monat auch der in diesem Monat angefallene Mindestlohn bezahlt werden. Unzulässig ist das Argument, dass ja eine Bruttomonatsvergütung vereinbart und damit der Fall erledigt ist.

Fachanwalt Bredereck: Das heißt also dann im Klartext: der Mindestlohn ist zu zahlen und damit Feierabend?

Fachanwalt Dineiger: Das Gesetz ist schon relativ strikt. Eine Ausnahme behandelt das Gesetz allerdings nicht, das sind die Ausschlussfristen. Es ist zulässig, in einem Arbeitsvertrag eine Ausschlussfrist zu vereinbaren. Das bedeutet, dass beide Vertragsparteien nur eine gewisse Zeit lang Ansprüche nach ihrer Fälligkeit geltend machen können. Danach verfallen diese Ansprüche. Eine solche Ausschlussfrist muss allerdings entweder im Arbeitsvertrag vereinbart sein oder der Arbeitsvertrag muss in vollem Umfang auf einen Tarifvertrag Bezug nehmen, der seinerseits eine Ausschlussfrist enthält. Für Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen ist zu beachten, dass die kürzestmögliche Ausschlussfrist 3 Monate beträgt. Kürzer darf eine Ausschlussfrist in einem Arbeitsvertrag nicht vereinbart werden. Eine wirksam vereinbarte Ausschlussfrist begrenzt also grundsätzlich die Pflicht zur Nachzahlung.

Fachanwalt Bredereck: Warum also dann die Diskussion über Verrechnungen?

Fachanwalt Dineiger: Man muss hier immer im Hinterkopf behalten, dass der Mindestlohn eine Lohnuntergrenze ist, der in den Vergleich zu setzen ist mit dem, was der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bisher bezahlt. In vielen Arbeitsverhältnissen gibt es ja nicht nur einen Bruttostundenlohn oder ein Bruttomonatsgehalt, sondern darüber hinaus weitere Zahlungen wie Prämien, vermögenswirksame Leistungen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, usw. Das sind ja alles Zahlungen, die der Arbeitgeber leistet. Selbstverständlich stellt sich hier dann die Frage, ob diese Leistungen beim Vergleich mit dem Anspruch aus dem Mindestlohngesetz heranzuziehen sind oder nicht. Hier setzt die Verrechnungsproblematik ein.

Fachanwalt Bredereck: Sagt das Gesetz hier irgendwas?

Fachanwalt Dineiger: Leider nicht. Das Mindestlohngesetz schweigt sich hierzu vollkommen aus. Allerdings ist der Begriff des Mindestlohnes ja kein neuer Begriff. Mindestlöhne gibt es ja schon in anderen europäischen Staaten. Der Begriff Mindestlohn taucht im Übrigen auch schon in der entsenden Richtlinie der Europäischen Union auf. Es gibt also tatsächlich schon festgelegte Begriffe und ein festgelegtes Verständnis, was Mindestlohn ist. In diesem Zusammenhang gab es früher schon Diskussionen, die jetzt natürlich mit dem Mindestlohngesetz wieder verstärkt einsetzen.

Fachanwalt Bredereck: Das heißt also, ich kann als Arbeitgeber alles verrechnen?

Fachanwalt Dineiger: Ganz so leicht ist es nicht. Nach bisherigen Verständnis in der Rechtsprechung muss man nach der Art der Zahlung, der Auszahlungsweise und dem Zweck der Zahlung unterscheiden.

Fachanwalt Bredereck: Das heißt jetzt im Einzelnen?

Fachanwalt Dineiger: Schon bisher war klar, dass Aufwendungsersatzansprüche kein eigentlicher Lohnbestandteil sind. Derartige Zahlungen können dann natürlich auch nicht verrechnet werden. Bei Zulagen, vermögenswirksame Leistungen und Prämien, die regelmäßig gezahlt werden, sieht die Sache anders aus. Die bisherige Rechtsprechung ging davon aus, dass eine funktionale Gleichwertigkeit mit normalem Arbeitsentgelt vorliegen muss, der EuGH sagt hingegen, dass eine solche Verrechnung das Verhältnis zwischen Leistung des Arbeitnehmers und Gegenleistung durch den Arbeitgeber nicht verändern oder verschieben darf. Unter diesem Gesichtspunkt hat der EuGH die Verrechnung von Überstundenvergütung auf den Mindestlohn abgelehnt, gleiches hat er festgestellt für vermögenswirksame Leistungen. Eine Verkehrsmittelzulage hingegen soll anrechenbar sein auf Mindestlohn.

Fachanwalt Bredereck: Was ist dann mit Urlaubs-und Weihnachtsgeld?

Fachanwalt Dineiger: Das ist die spannendste Frage. Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld ist nicht unbedingt eine klare Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung. Allerdings wird Urlaubs- und Weihnachtsgeld ja traditionell einmal bzw. zweimal im Jahr ausgezahlt. Das Mindestlohngesetz zielt aber darauf ab, dass der Mindestlohn monatlich erreicht werden muss. Vom Wortlaut her ist es also sicher problematisch, derartige Leistungen verrechnen zu wollen, da Urlaubs- und Weihnachtsgeld eben gerade nicht monatlich ausbezahlt werden. Die Idee dahinter ist dann, den Zahlungsmodus umzustellen. In manchen Betrieben werden Urlaubs- und Weihnachtsgeld ohnehin schon in monatlichen Raten ausbezahlt. Das kann natürlich einheitlich überlegt werden. Hier besteht aber möglicherweise das Problem, dass eine solche Änderung im Auszahlungsmodus eine kündigungsrelevante Änderung ist und daher nicht so einfach durchsetzbar sein wird.

19.09.2014

Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck und Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.

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