Experten halten Zahlungssperren beim Online-Glücksspiel für nicht umsetzbar
Potsdam, Oktober 2014. Während die Ministerpräsidentenkonferenz in dieser Woche zusammenkommt, um unter anderem über den Glücksspielstaatsvertrag sowie dessen Umsetzbarkeit in Deutschland zu beraten, sehen sich eine Reihe von Glücksspielanbietern massiven Repressionen durch die Bundesländer ausgesetzt. Die Länder beabsichtigen, Glücksspielangebote im Internet zu untersagen, notfalls sogar durch das Blockieren des Zahlungsverkehrs – ein Instrument, das bezeichnenderweise von den Vertretern der staatlichen Lottoverbände proklamiert wird, etwa von Michel Burkert, Federführer im Deutschen Lotto- und Totoblock sowie Geschäftsführer der Saarland-Sporttoto GmbH, der den Geldtransfer ins Ausland unterbinden will. Im Klartext: Banken, Kreditkartenunternehmen, Zahlungsdienstleister sollen den Geldfluss zwischen Spieler und Online-Glücksspielanbietern unterbrechen, selbst wenn diese in der EU lizenziert sind. Soweit die verbreitete Theorie.
Eco-Präsident Rotert: Datenschützer sind gefordert
Offensichtlich hat man sich mit der praktischen Umsetzung des so genannten Financial Blockings in den Staatskanzleien weniger beschäftigt, wie der einflussreiche Internet-Pionier Michael Rotert ausführt. Der Informatik-Professor von der Hochschule Karlsruhe und Präsident des Eco-Verbandes der deutschen Internetwirtschaft http://www.eco.de erläutert auf Nachfrage, dass einem solchen Plan schon die Realitäten des Europäischen Marktes entgegenstehen: „Ich bin ja nicht auf eine deutsche Bank angewiesen, denn nur hier könnten die Behörden Auflagen machen. Schon im europäischen Umfeld läuft das ins Leere, dort ist der Anbieter ja möglicherweise lizenziert. Schon aus Gründen der Inkompatibilität mit den europäischen Verhältnissen dürfte es kein Financial Blocking als deutschen Alleingang geben.“ Müssten also alle Europäer ein Instrumentarium zum Financial Blocking einrichten? Es spricht zu viel dagegen, wie Rotert weiß: „Zuerst müssten Sie an die ganzen Verbindungsdaten kommen, denn nur dann kann festgestellt werden, wer wann welche Seite aufgerufen hat. Hierzu müssten die Internetserviceprovider aber wieder die Vorratsdatenspeicherung einführen, und zwar verschärft, denn es müsste zusätzlich auch die genaue Adresse der Webseite gespeichert werden.“ Serviceprovider als Handlanger des deutschen Glückspielmonopols, die zudem noch derzeit verbotenerweise Daten auf Vorrat speichern müssten, könne er sich „beim besten Willen nicht vorstellen. Da müsste vorher per Gesetz die Vorratsdatenspeicherung eingeführt werden und auch die Verwendung erweitert werden. Diese hat aber seinerzeit das Bundesverfassungsgericht genau eingeschränkt.“ Auch die mittlerweile illegale EU-Direktive gäbe eine solche Verwendung nicht her.
Schließlich sieht Rotert auch die Datenschützer gefordert: „Die für ein Financial Blocking notwendigen Daten aus dem Internet dürfen die Provider nicht speichern und eine Zusammenführung mit Scoring Daten dürfte auch nicht erlaubt sein. Abgesehen von der Tatsache, dass mit Internetadressen immer ein Gerät und kein Mensch adressiert wird, müssten hier mehrere Datenquellen zusammengeführt werden. Zusätzlich müssten Inhalts- und Ortsdaten gespeichert werden, denn es könnte sich ja um ein in Teilen von Deutschland illegales Angebot eines ansonsten lizenzierten Anbieters handeln.“
Schon die innerdeutsche Gesetzeslage macht Financial Blocking also praktisch unmöglich: Denn wie kann eine Bank die Unterscheidung treffen zwischen einem lizenzierten und einem nicht lizenzierten Glücksspielanbieter? Schließlich wurden in Schleswig-Holstein aufgrund der dortigen Gesetzeslage nahezu 50 Lizenzen für unterschiedlichste Anbieter erteilt, der Glücksspielstaatsvertrag sieht jedoch nur 20 Lizenzen bundesweit vor. Was also bringt Financial Blocking außer noch größerer rechtlicher Unsicherheit als bisher?
Kubicki: Androhung von Zahlungssperren ist Verzweiflungstat der Länder
Angesichts dieser Gemengelage sehen sich Kritiker des Glücksspielstaatsvertrags bestätigt: So erklärte etwa der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk (NDR), er halte die Drohung der Bundesländer mit der Verbotskeule für „eine Verzweiflungstat, weil die Verbote außerhalb unserer Landesgrenzen keine Wirkung entfalten, und auch die Androhung mit strafrechtlichen Konsequenzen ist eigentlich lächerlich.“ Die Prognose des FDP-Politikers, seinerzeit einer der Väter des modernen Kieler Glücksspielgesetzes, gemäß NDR: „Es ist ja nicht das erste Mal, dass Länder versuchen, Verbotsverfügungen durchzusetzen. Sie sind bisher mit allen Dingen gnadenlos gescheitert. Und das wird auch diesmal der Fall sein.“ Der Blick nach Norwegen verstärkt diesen Eindruck, hier hatte selbst die zuständige norwegische Glücksspielaufsichtsbehörde das Scheitern des dort so genannten Payment-Blocking eingestanden. „This payment ban has had less impact than expected. It“s not been a success“, sagte Rune Timberlid, Senior Advisor des Norwegian Gaming Board, laut GamblingCompliance.
Baden-Württembergische Landesregierung bestätigt Praxisprobleme beim Financial Blocking
Und damit nicht genug: Auch die Banken winken erkennbar ab und fragen nach Rechtssicherheit und Praxistauglichkeit, wenn es darum geht, millionenfach Geldtransfers mit erheblichem organisatorischen Aufwand unter die Lupe zu nehmen. Mit den Bankorganisationen, so die Süddeutsche Zeitung (SZ) http://www.sueddeutsche.de bereits im September, sei „noch nicht gesprochen worden, wie der der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken mitteilt. Und überhaupt, so der Verband: Dieses Vorgehen müsse „rechtssicher und praktikabel“ sein. Die Bankenorganisationen haben den Ländern bereits im Mai 2011 mitgeteilt, Überweisungen auf Konten eines Glückspiel-Betreibers seien „nicht immer zwingend“ Wetteinsätze, das könne auch andere Anlässe haben. Die Kreditinstitute könnten das „nicht unterscheiden“.“ Und auch auf die europäische Wirklichkeit weist die SZ mit Bezug zur grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg hin, die schon 2012 in einer Antwort auf eine Landtagsanfrage klargestellt hat: „Das Verfahren funktioniere nicht, „wenn das Finanzinstitut seinen Sitz im Ausland hat“.“
Würden die Pläne der Bundesländer umgesetzt, käme das einer „rasterfahndungsartigen Überwachung gleich“, so der Kommentar des Münchener Rechtsanwalts und EU-Rechtsexperten Dr. Wulf Hambach. Im Grunde hält er den Aufwand hierzu für nicht umsetzbar und warnt vor Schadensersatzansprüchen der betroffenen Unternehmen: „Ich denke, das werden astronomische Forderungen sein, die die Anbieter hier geltend machen gegen den Staat, insbesondere in einem europäischen Binnenmarkt, wo solche Untersagungen nicht erfolgen sollten“, sagte er gegenüber dem ARD-Mittagsmagazin http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/mittagsmagazin/sendung/2014/gluecksspiel-staat-verbot-100.html
Parteiübergreifende Forderung nach EU-konformer Glücksspielregulierung
Allen Warnungen zum Trotz scheinen die Bundesländer an ihrer starren Haltung festzuhalten und die ohnehin große Rechtsunsicherheit im deutschen Glücksspielmarkt weiter zu befeuern. Experten halten dies für den letzten Versuch, den Vollzugskollaps des Glücksspielstaatsvertrages zu verhindern, dessen praktische Anwendung augenscheinlich gescheitert ist. Nach dem Eingeständnis des zuständigen hessischen Innenministeriums, wonach der Glücksspielstaatsvertrag das Ziel nicht befördert, das illegale Sportwettenspiel einzudämmen, haben der schleswig-holsteinische Glücksspielexperte Hans-Jörn Arp (CDU) und Wolfgang Kubicki Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) aufgefordert, das schleswig-holsteinische Modell auf Bundesebene durchzusetzen: „Das Bundesland, das vom Glücksspielkollegium mit der Vergabe der 20 Konzessionen beauftragt wurde, hat die Fahnen gestreckt. Deutlicher als der hessische Innenminister in der Antwort auf eine Kleine Anfrage zur Verfahrensgestaltung und Verfahrensdauer (Drucksache 19/446) kann man das Scheitern dieses Vertrages nicht formulieren“, erklärte Arp. Dort hieß es: „Die zahlenmäßige Begrenzung der Konzessionen hat sich als höchst kompliziert, streitanfällig und langwierig erwiesen. Vor allem hat es jedoch das Ziel nicht befördert, das illegale Sportwettenspiel einzudämmen, sondern im Gegenteil diesem Ziel geschadet.“ Durch das System der begrenzten Konzession werde das Sportwettenspiel im illegalen Bereich immer umfangreicher, ohne dass hiergegen ernsthaft eingeschritten werden könne.
Das hessische Innenministerium, so die beiden Politiker, habe bereits im Juli verkündet, dass es für Vergabe der 20 Konzessionen Klagen der 21 unterlegenen Bewerber erwartet. Damit werde die Lizenzvergabe noch einmal verzögert. Aus diesem Grund sei auch der bereits zuvor verschobene Evaluationstermin für den November nicht zu halten. „Wie wollen die Ministerpräsidenten einen Vertrag bewerten, wenn sie nach über zwei Jahren noch nicht einmal Lizenzen vergeben können?“, so Kubicki. Er setzt wie Arp weiter auf das schwarz-gelbe Kieler Glücksspielgesetz: „Unser Weg ist einfacher, von den ehrlichen Anbietern akzeptiert, bekämpft die Illegalen und die Geldwäsche und ist von der EU-Kommission geprüft worden. Er funktioniert, schützt die Spieler und sorgt für staatliche Einnahmen.“
Ein Lichtschein am Horizont der trüben Glücksspiellandschaft: Die Grünen im hessischen Landtag haben offensichtlich erkannt, dass der geltende Glücksspielstaatsvertrag zum Scheitern verurteilt ist. Sie sprechen sich nun dafür aus, nicht nur die zahlenmäßige Begrenzung der Konzessionen aufzuheben und durch qualitative Elemente der Konzessionsvergabe zu ersetzen, sondern dieses Prinzip – analog zum Kieler Modell – auch auf Casinospiele und Poker auszuweiten. Die Zeit für ein rechtssicheres EU-Modell zur Glücksspielregulierung ist offensichtlich reif. (Peter Langenbach)
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