Warum die Bundeskanzlerin lieber über „gutes Leben“ als über die Maut redet
Die Bundeskanzlerin will mit den Bürgern in einen Dialog über „gutes Leben“ treten. Statt sich in folgenlose philosophische Debatten zu verlieren, sollte die Politik besser die drängenden Probleme von Gegenwart und Zukunft lösen, meint der Personalberater Michael Zondler.
Von Nicolaus Gläsner +++ „Angela Merkel als Kummerkastentante“: Diese Vorstellung stößt bei FAZ-Redakteur Christian Geyer auf wenig Gegenliebe. Im Feuilleton der FAZ berichtet er über den Versuch der Bundesregierung, die Bürger in ein Gespräch über „gutes Leben“ zu verwickeln. „Wenn die Politik philosophisch wird, ist Argwohn am Platz“, so Geyer. Auf einer Klausurtagung in Meseberg Anfang dieses Jahres hatte die Koalition beschlossen, das Projekt „Gutes Leben – Lebensqualität in Deutschland“ auf die Schiene zu setzen. Die Kanzlerin wolle mit ihrem regierungsamtlichen Vorhaben erfahren, „was die Leute, wie es programmatisch (und verräterisch) heißt, jenseits von Brot und Arbeit, Rente und Mindestlohn wollen“ frei nach dem Motto: „Am liebsten reden wir über Werte. Die kosten nichts“.
Michael Zondler, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens centomo http://www.centomo.de , kann dem philosophischen Diskurs ebenfalls wenig abgewinnen. „Politik ist nicht dazu da, den Menschen vorzuschreiben, was gut für sie ist. Ob der Einzelne mehr Fleisch oder mehr Gemüse auf dem Teller hat, sollte er privat und persönlich entscheiden. Natürlich kann sich die Kanzlerin mit Spitzenvertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften, von Sozialverbänden und Umweltinitiativen an einen Tisch setzen und auch Bürgergespräche suchen. Doch die Sinnsuche und Wertevermittlung ist weniger eine Aufgabe der Politik, sondern eher eine Aufgabe der Kirchen oder ähnlicher Institutionen“, so Zondler.
Der Personalberater aus Baden-Württemberg hält das Gespräch über gutes Leben für einen ziemlichen „Hokuspokus“ und die öffentlichkeitswirksame Simulation von Bürgerbeteiligung. „Mein Eindruck ist: Die Regierung, die weitgehend ohne Opposition lebt, verabschiedet sich mehr und mehr von dem, was eigentlich ihre Aufgabe wäre: nämlich Probleme zu lösen. Wir brauchen kein philosophisches Oberseminar, sondern Handlungskonzepte aus den Ministerien. Die Themen liegen auf der Straße. Wie verhindern wir den weiteren Verfall unserer Infrastruktur? Wie können wir dafür sorgen, dass das duale Ausbildungssystem nicht durch einen überzogenen Hype ums Studium ins Hintertreffen gerät? Wie kann die von den meisten Bürgern gewünschte bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf realisiert werden? Wie können wir die Arbeitszeiten weiter flexibilisieren?“
Dies seien nur willkürlich herausgegriffene Fragen. Statt sich mit diesen harten Fakten auseinanderzusetzen, beglücke man die Wähler mit fragwürdigen Konzepten wie der Rente mit 63 auf Kosten zukünftiger Generationen.
Deutschland braucht ein modernes Konzept für die Zuwanderung
Ganz oben auf der politischen Agenda müsse auch endlich ein modernes Zuwanderungskonzept stehen. „Wie die OECD jetzt berichtet, ist Deutschland nach den USA das zweitgrößte Einwandererland. Doch ein Konzept, wie wir mit der damit verbundenen Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft umgehen, fehlt weiterhin. Das Prinzip Ratlosigkeit und Zufall regieren. Wenn die politischen Eliten sich vor dem Thema wegdrücken, besetzen die Rechtspopulisten das Feld. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass die Politik zurzeit auch nur annähernd in der Lage ist, Zuwanderung stärker zu steuern.“
Dass nicht nur Flüchtlinge aus humanitärer Not nach Deutschland kämen, sondern auch andere EU-Bürger, weil sie Deutschlands Arbeitsmarkt als sehr attraktiv wahrnähmen, sei grundsätzlich sehr positiv. Man müsse schon jetzt Vorsorge für den Fall treffen, dass sich die Konjunktur in Deutschland deutlich abschwäche. „Bei der Zuwanderung der so genannten Gastarbeiter hat man viele Fehler gemacht und auf das Prinzip Zufall gesetzt. Das sollte uns kein zweites Mal passieren.“
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