Versicherungen streichen mit System.
Vorsicht, Falle!
Zunehmend versuchen Versicherer, sich mit Tricks aus der Verantwortung zu stehlen. Sie streichen berechtigte Schadenersatzansprüche zusammen – auf Kosten der Geschädigten.
Am sieben Jahre alten VW Touran eines Unfallopfers entsteht ein Schaden, dessen Reparatur laut Sachverständigen-Gutachten rund 3.100 Euro kosten wird. Auf dieser Basis will die Fahrerin entschädigt werden. Das ist ihr gutes Recht, denn Unfallopfer dürfen frei entscheiden, ob sie das Auto reparieren lassen. Oder auch nicht und jene Summe einfordern, die ein Gutachter oder die Werkstatt in ihrem Kostenvoranschlag angesetzt hat – im Branchen-Jargon fiktive Abrechnung genannt.
Die Allianz-Versicherung hat die Abrechnung präsentiert: Die kalkulierten Lohnkosten sind um 353,60 Euro gekürzt, beim Posten Lackierung wurden 204,10 Euro abgezogen, und auch die Erstattung für Ersatzteile wurde zusammengestrichen. Insgesamt um etwa 700,00 Euro.
Eine solche Taktik ist immer wieder zu beobachten, man wartet ab, ob der Geschädigte tatsächlich seine Ansprüche einklagen will. Weil relativ viele Autofahrer noch immer nicht rechtsschutzversichert sind und deshalb den Gang vor den Kadi scheuen, lohnt sich ein solches Regulierungsverhalten offensichtlich für die Branche.
Bei rund 3,5 Millionen Haftpflichtschäden mit einem Volumen von zirka 9,3 Milliarden Euro, die pro Jahr zu regulieren sind, rechnet sich das Streichkonzert für die Assekuranzen. Branchenkenner gehen davon aus, dass diese so jährlich dreistellige Millionenbeträge verdienen – auf Kosten der Geschädigten.
Und sie sind enorm kreativ bei der Auslegung der Rechtslage – siehe Kürzung der Werkstatt-Stundenverrechnungssätze bei fiktiver Abrechnung. Dabei herrscht in der Rechtsprechung nach einem Urteil, das der Bundesgerichtshof bereits vor zehn Jahren fällte, die Meinung vor, dass der Geschädigte sich nicht auf freie Werkstätten verweisen lassen muss. Ähnliches gilt, wenn das Auto tatsächlich repariert werden soll und der Versicherer eine Werkstatt empfiehlt, die die Arbeiten gleichwertig, aber zu einem viel günstigeren Gesamtpreis erledigen könnte. Das ist immer heikel, wenn der Unfallwagen noch in der Garantiezeit ist. Diese ist nämlich an eine Reparatur in der Markenwerkstatt gebunden. Und wenn die Garantie gefährdet ist, kann die Reparatur nicht mehr gleichwertig sein. Für Laien erschließen sich solche Feinheiten nicht.
Versicherer kürzen oft illegal:
Plumpe Versuche, das Unfallopfer über den Tisch zu ziehen, entlarvt meist nur ein Anwalt. Beispielsweise die Dreistigkeit, den Schadenersatz für ältere Fahrzeuge um die Mehrwertsteuer zu kürzen. Bei älteren Autos ist kein Steuerabzug möglich, weil sie auf dem seriösen Markt praktisch nicht zu haben sind. Nur bei Totalschäden neuer oder neuwertiger Fahrzeuge wie Leasing-Rückläufern falle bei der Wiederbeschaffung Umsatzsteuer an und könne auch abgezogen werden. Was auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu haben ist, wird pauschal mit abgesenkten Satz von 2,2 Prozent versteuert.
Ärger gibt es auch regelmäßig um Restwertangebote, wenn das Auto nach einem Unfall als wirtschaftlicher Totalschaden eingestuft wird, der Besitzer das Auto aber reparieren lassen will, um es weiter zu fahren. Internet Angebote wurden vom BGH bereits ausgeschlossen werden aber von den Regulierern weiterhin in Abzug gebracht.
Ähnliches gilt für die Taktik der Sachbearbeiter, den Rotstift mit dem Argument „neu für alt“ anzusetzen: Muss beispielsweise ein Kindersitz nach einem Unfall ausgetauscht werden, sind Helm oder Lederkombi zu ersetzen oder ist die Brille zu Bruch gegangen, sind Abzüge bei der Neuanschaffung nicht zulässig. Eine weitere Position wird von den Versicherungen gerne geschmälert oder völlig ignoriert: Menschen, die nach einem Unfall arbeitsunfähig sind, haben Anspruch auf Kostenerstattung für eine Haushaltshilfe – egal, ob Freunde und Verwandte einspringen oder Profis ans Werk gehen.
Es gilt also der Leitsatz: Vertrauen Sie niemals dem der Ihren Schaden bezahlen soll.
gez. Gerd Hoehne
Kfz Gutachter aus Berlin
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