Reliquiare des späten Mittelalters: Edelmetall als Umhüllung für das Allerheiligste, der Reliquienkult und historisches Kunsthandwerk – Diskussionsbeitrag der Berliner Wirtschafts- und Finanzstiftung
„Vermögen überdauern Jahrhunderte – jedes entstandene Vermögen hat eine Geschichte, egal ob die Verwaltung des Vermögens gut oder schlecht verlaufen ist, aktuelle Entscheidungen wirken wie in der Vergangenheit auch heute noch beeinflussend. Herr Detlef Braumann, Vorstand der Berliner Wirtschafts- und Finanzstiftung freut sich über den großen Zuspruch und vielen Gästen die der Einladung zur Inhouse Veranstaltung in den Räumlichkeiten der BWF-Stiftung, Königsweg 3d in Berlin zum weiteren kunsthistorischen Themenabend gefolgt sind. „Goldschmiedekunst im Mittelalter – Kunsthandwerk und Selbstbespiegelung – Reliquien als Exportschlager.“ Im Rahmen von Weiterbildungs- und Seminarveranstaltungen möchte die BWF-Stiftung, Trägerschaft des Bundes Deutscher Treuhandstiftungen e.V. die Kultur um die Verbildlichung der Verheerungen von Reliquien und den daraus entstandenen kunsthandwerklichen Reliquiaren und deren Machtausübung nachgehen. Die Teilnehmer, eingeladene Kunden, Mitarbeiter und Liebhaber der Gold- und Silberschmiedekunst der BWF-Stiftung werden vom Kunsthistoriker und Referenten in die Welt der Goldschmiedekunst im Mittelalter entführt.
Reliquien: Verehrung und Auswüchse
Der Referent zitiert hierzu J. Huizinga, Herbst des Mittelalters, Stuttgart 1952: „…Die Körperlichkeit, die die Heiligen schon durch die Abbildung hatten, wurde dadurch noch ungemein gesteigert, daß die Kirche von alters her die Verehrung iher leiblichen Überreste gestattet und begünstigt hatte. Es war nicht anders möglich, als daß von diesem Haften am Stofflichen ein materialisierender Einfluß auf den Glauben ausgehen mußte, der manchmal zu den erstaunlichsten Übertreibungen führte.“
Am bildlichen Beispiel erläutert der Kunsthistoriker die Zusammenhänge über die Reliquiare und deren Verehrung im späten Mittelalter. An der Südwand der Marienkapelle der Burg Karlstein bei Prag entstand in den Jahren 1357/1358 ein Fresko, das Kaiser Karl IV. und die Kaiserin mit einem großen goldenen Reliquienkreuz zeigt. Es ist das Kreuz, das Karl im Jahre 1357 für Reliquien der Passion Christi anfertigen ließ. Drei weitere Fresken der Marienkapelle feiern ebenfalls den Kaiser als großen Bewahrer und Verehrer von Reliquien. So sieht man ihn, wie er vom französischen Dauphin sowie von König Peter von Zypern und Jerusalem Heiligtümer entgegennimmt und dabei ist, eine kreuzförmige Partikel dem großen Kreuz hinzuzufügen. Zwar kennt auch das 14. Jahrhundert noch große Schreinreliquiare und, wie es das Fresko zeigt, heilige Kreuze. Doch dominieren nunmehr Reliquienbüsten und -statuetten, Ostensorien und sogenannte redende Reliquiare. Der Referent weist mit weiteren Beispielen darauf hin, dass die Goldschmiedekunst weitgehend in Abhängigkeit zur Großarchitektur und Großplastik getreten war, wirkte eine Reliquienmadonna der Zeit um 1280 im Aachener Domschatz in ihrer strengen Axialität und Statuarik wie eine jüngere Schwester der Reimser Maria aus der Zeit um 1236. Das Haupt eines um 1300 entstandenen Heiligen Blasius im Namurer Diözesanmuseum gleicht dem heiligen Josef von der Reimser Westfassade, und späterhin wird man sogar die Civitas Dei unter dem Bild der Stadt Soissons mit Kathedrale und Kirchen im Kranz von Mauern und Bastionen darstellen.
Vielfalt und Exportschlager Reliquienkult
„Alte Stiche und Inventare der großen Kirchenschätze lassen die erstaunliche Vielfalt dieser Zeit erkennen, die den Schatz an Reliquiaren auszeichnete“, so der Referent und erläutert den Reliquienkult als Exportschlager bis Mitte des 14. Jahrhunderts. Das Baseler Haupt der heiligen Ursula – Die Ursulabüsten. Im Jahre 1254 übersandte das Kölner Domkapitel der Stadt Basel ein Haupt und zwei Armknochen jener heiligen Jungfrauen, für deren Anführerin, Ursula, ein halbes Jahrhundert später ein Büstenreliquiar entstand, dass in der Kapelle der 11000 Jungfrauen des Baseler Münsters Aufstellung fand. Der Kunsthistoriker gibt zu bedenken, dass hierbei eine Form der Heiligenverehrung ausgebrochen ist, die bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts eine Vielzahl von Reliquienbüsten entstehen ließ, die großenteils als Kölner Export in ganz Europa heute noch zu finden sind. In der 2. Hälfte des 13. und der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts nimmt die Reliquienverehrung durch den Nachweis der sogenannten „Passo Ursulae“ geradezu phantastische Formen an. Das zeigt sich darin, dass die der Heiligen geweihte Kölner Kirche allein fas 1800 Schädel besitzt. Die Reliquienindustrie findet hierbei ihre Blütezeit, ganz Europa wird mit Ursulabüsten und auch mit Büstenreliquiaren frommer Männer, die auch nachweislich die Kriterien von Heiligkeit erfüllt haben mussten, beliefert. Weiteres Bildmaterial zeigt anschaulich, dass die Büstenreliquiare der hohen Nachfrage wegen aus Holz hergestellt waren, doch auch aus Edelmetall sind Ursulahäupter gefertigt. Der Historiker hierzu: „Vergoldetes Silber und mit fertig bezogenen Pariser Geldzellenschmelzen gilt die Basler Büste als eine der edelsten Vertreterinnen eines Reliquienkultes, der in seinen Ausmaßen und Auswüchsen heutigem Empfinden am unzugänglichsten ist.“
Fazit: Reliquienkult und gesellschaftlicher Wandel
Die Teilnehmer und Verantwortlichen der BWF-Stiftung diskutieren untereinander die gesellschaftlichen Vorstellungen und Visionen vergangener Zeiten. Anschließend bedankt sich die BWF-Stiftung für die rege Teilnahme und der Referent beendet den Abend mit dem Zitat:
„Die Kultur des ausgehenden Mittelalters zählt zu den Kulturen, in denen Pracht und die Schönheit verdrängen will. Die Verbildlichung alles Denkbaren bis in seine letzte Konsequenz, die Überladung des Geistes mit einem unendlichen System formaler Vorstellungen, das macht das Wesen der Kunst jener Zeit aus. Sie löst alle Formen in Selbstzergliederung auf, gibt jedem Detail eine unbeschränkte Durchführung bis ins Letzte. Es ist ein ungebundenes Wuchern der Form über die Idee. In dieser Kunst herrscht Horror vacui, den man vielleicht ein Merkmal zu Ende gehender Geistesepochen nennen darf“, Zitat Johan Huizinga, zu der Zeit, wie man diese sehen muss.
V.i.S.d.P.:
Dipl.-Kfm. Oliver Over
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