LAG München - Initiativrecht des Betriebsrates beim "Wie" der Arbeitszeiterfassung?

Fabian Wilden, Rechtsanwalt

1. In Anbetracht der gesetzlichen Verpflichtung des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung unter den Aspekten des Gesundheitsschutzes besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Ausgestaltung des im Betrieb zu verwendenden Systems zur Erfassung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit.

2. Insofern kommt dem Betriebsrat auch ein Initiativrecht zu. Das Mitgestaltungsrecht hängt nicht davon ab, ob der Arbeitgeber seinen gesetzlichen Pflichten nachkommen will oder nicht.

3. Eine einseitige Festlegung auf ein System ohne vorherige Mitbestimmung ist nicht möglich.

(Beschluss des LAG München vom 22. Mai 2023 – 4 TaBV 24/23; Leitsätze des Verfassers)

Betriebsrat und Arbeitgeberin stritten über die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung für die Mitarbeiter im Außendienst. Die Arbeitgeberin ist als Vertriebsgesellschaft Teil einer Unternehmensgruppe, bei der auch ein Konzernbetriebsrat besteht. Mit diesem hat die Unternehmensgruppe für Mitarbeiter im Innendienst eine Konzernbetriebsvereinbarung zur Arbeitszeit abgeschlossen, die auch Fragen der Arbeitszeiterfassung umfasst. Die Arbeitszeiterfassung erfolgte nach dieser durch das System SAP HCM. Eine Regelung für die Mitarbeiter des Außendienstes findet sich dort nicht. Der Betriebsrat forderte daher die Arbeitgeberin auf, mit ihm in die Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zur Zeiterfassung der Mitarbeiter im Außendienst einzutreten. Die Arbeitgeberin verweigerte die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Hinweis darauf, dass sie den Konzernbetriebsrat für zuständig erachte, da auch die übrigen Mitarbeiter der Unternehmensgruppe von einer Verpflichtung zu Arbeitszeiterfassung betroffen seien. Der Betriebsrat erklärte die Verhandlungen für gescheitert und beantragte im Wege des Beschlussverfahrens die Einsetzung einer Einigungsstelle.
Im Verfahren führte die Arbeitgeberin zusätzlich an, dass die Arbeitszeiterfassung für Mitarbeiter im Innendienst konzerneinheitlich über das System SAP HCM erfolge, dessen Einführung und Anwendung in Konzernbetriebsvereinbarungen geregelt sei. Diesbezüglich sei, da die Einführung eines anderen Systems nicht in Betracht komme, auch die Aufnahme von Gesprächen zur Erweiterung auf Mitarbeiter im Außendienst mit dem Konzernbetriebsrat erfolgt. Für das „Ob“ der Arbeitszeiterfassung bestehe nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, für das „Wie“ der Arbeitszeiterfassung sei, unabhängig davon, welches Mitbestimmungsrecht wahrgenommen werden soll, der Konzernbetriebsrat zuständig. Denn auch hier schlage durch, dass sich die Unternehmensgruppe für ein bestimmtes elektronisches System der Arbeitszeiterfassung entschieden haben. Das Arbeitsgericht gab dem Antrag des Betriebsrates statt und setzte die Einigungsstelle ein. Die Arbeitgeberin legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und begründete diese ergänzend damit, dass ein Mitbestimmungsrecht im Hinblick auf das „Wie“ der Arbeitszeiterfassung und damit deren Ausgestaltung erst in Betracht kommen könne, wenn sie sich überhaupt zur Einführung einer solchen entschlossen habe. Eine andere Annahme käme einem Mitbestimmungsrecht für das „Ob“ der Arbeitszeiterfassung gleich. Das LAG München hat die Beschwerde zurückgewiesen. Begründet hat es dies damit, dass dem Betriebsrat, solange keine gesetzlichen Regelungen bestehen, im Hinblick auf die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgereichts ein Mitbestimmungsrecht zukomme, das er auch initiativ wahrnehmen könne. Dies umfasse auch die Mitgestaltung der Art und Weise der Arbeitszeiterfassung, also unter anderem die Fragestellung, ob diese elektronisch oder analog erfolgt. Dem könne die Arbeitgeberin nicht entgegenhalten, dass sie sich noch nicht dazu entschieden habe, eine Arbeitszeiterfassung einzuführen. Aufgrund der gesetzlichen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, komme es auf einen solchen Willen nicht an, die Ausgestaltung betreffe daher auch nicht das „Ob“. Ebenso wenig stehe dem Mitbestimmungsrecht entgegen, dass teilweise bereits eine elektronische Arbeitszeiterfassung unter Beteiligung des Konzernbetriebsrats eingeführt worden sei und die Arbeitgeberin nur diese fortführen wolle. Zum einen komme eine einseitige Festlegung des Systems der Arbeitszeiterfassung ohne vorherige Mitbestimmung gerade nicht in Betracht. Zum anderen bestehe gesetzlich auch nicht die Verpflichtung zur Einführung einer elektronische Arbeitszeiterfassung, so dass eine Ausgestaltungsmöglichkeit der Betriebsparteien verbleibe. Schließlich bestehe auch nicht die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats. Im Streit stehe die Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts im Gesundheitsschutz nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG und nicht diejenige einer Einführung einer elektronischen Erfassung, die § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterfalle. Zur Wahrnehmung der Mitbestimmung im Gesundheitsschutz sei grundsätzlich das örtliche Gremium berufen, weil es mit der Kenntnis der Umstände des einzelnen Betriebs sachnäher befasst ist.

Fazit:
Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 13.09.2022 (Mandanteninfo Januar 2023) die lange streitige Frage, ob Betriebsräte beim „Ob“ der Arbeitszeiterfassung ein Mitbestimmungsrecht haben, ablehnend entschieden. Denn es bestehe insoweit aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG bereits eine gesetzliche Verpflichtung eines jeden Arbeitgebers, die Arbeitszeit der Beschäftigten zu erfassen. In der Entscheidung hat das BAG aber klargestellt, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG im Hinblick auf die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung bestehe. Dieses kann der Betriebsrat auch initiativ wahrnehmen. Das LAG München wendet diese Rechtsprechung überzeugend an und stellt dabei insbesondere klar, dass die Frage des „Wie“ den Betriebsräten über
§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG umfassende Mitgestaltungsrechte im Hinblick auf die Arbeitszeiterfassung einräumt und diese auch gegen den Willen des Arbeitgebers über die Einigungsstelle eingefordert werden können. Hieraus folgt aber auch, dass sich Betriebsräte nicht auf bereits bestehende Systeme verweisen lassen und eine „Vorauswahl“ des Arbeitgebers ebenso nicht hinnehmen müssen. Darauf, dass § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bei den allermeisten Systemen der Arbeitszeiterfassung zusätzlich einschlägig sein dürfte, wird zur Vollständigkeit hingewiesen.

Fabian Wilden, Rechtsanwalt
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