Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck, Berlin und Essen.
Ausgangslage:
Das Mindestlohngesetz wird unter Umständen auch Folgen für den Arbeitnehmerbegriff haben. Problem: Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG (Mindestlohngesetz) gelten Praktikanten im Sinne des § 22 BBiG (Berufsbildungsgesetz) von gewisse Ausnahmen abgesehen als Arbeitnehmer im Sinne des Mindestlohngesetzes. Führt das Mindestlohngesetz durch die Hintertür einen neuen Arbeitnehmerbegriff ein? Das könnte weitreichende Folgen für Unternehmen haben, die bisher Praktikanten beschäftigen. Diese gelten dann unter Umständen nämlich künftig als Arbeitnehmer, mit allen Rechten und Pflichten.
Bisher: Abgrenzung Praktikum zu Arbeitsleistung nach tatsächlicher Vertragsdurchführung
Wenn Unternehmen bislang Praktikanten außerhalb von Pflichtpraktika, Praktika zu Orientierung vor Aufnahme eines Studiums usw. beschäftigten, war für die rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses maßgeblich, ob die Ausbildung des Betroffenen im Vordergrund stand oder ob der Verpflichtete tatsächlich Arbeitsleistungen erbrachte. Unabhängig von der getroffenen Vereinbarung war zu entscheiden, ob im Vordergrund die Anlernung bzw. Ausbildung der betreffenden Person stand, oder ob tatsächlich eine vergleichbar mit anderen Arbeitnehmern ansatzweise gleichwertige Arbeitsleistung erbracht wurde. Im letzteren Fall war der vermeintliche Praktikant tatsächlich Arbeitnehmer. Lag seine Vergütung unterhalb von zwei Dritteln der üblichen Vergütung, konnte er die übliche Vergütung verlangen. Der Arbeitgeber trug das Risiko, später nachzahlen zu müssen und zwar auch die Beiträge zur Steuer und Sozialversicherung.
Beispiel: Ein Mitarbeiter, der im Supermarkt lernte Regale einzuräumen, konnte dies im Rahmen eines Praktikums nur für sehr kurze Zeit (auf wenige Tage) tun. Danach war davon auszugehen, dass er tatsächlich Arbeitsleistungen erbrachte. Ein Mitarbeiter bei einem Medienunternehmen konnte möglicherweise wesentlich länger tatsächlich ein Praktikum machen, weil es hier mehr zu lernen gab.
Nach Einführung des Mindestlohngesetzes:
Spätestens nach Ablauf von drei Monaten sind alle Praktikanten, die nicht ausdrücklich von den Ausnahmen des Mindestlohngesetzes erfasst sind, Arbeitnehmer. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 Mindestlohngesetz sind Orientierungspraktika oder freiwillige Praktika vor Aufnahme einer Berufsausbildung bis zu drei Monate von der Regelung des Mindestlohngesetzes ausgenommen. Danach gelten die Praktikanten als Arbeitnehmer im Sinne des Mindestlohngesetzes. Sie können den Mindestlohn beanspruchen.
Weitreichende Folgen für den Arbeitgeber bei zu niedrigem Mindestlohn
Das Problem ist, dass dann, wenn die Mindestlohnvergütung unterhalb von zwei Dritteln der üblichen Vergütung liegt, die Arbeitnehmer nicht nur den Mindestlohn, sondern sogar die übliche Vergütung beanspruchen können. Die Vergütungsvereinbarung ist dann nämlich insoweit sittenwidrig und damit unwirksam. Der Praktikant hat Anspruch auf die ortsübliche Vergütung. Der Arbeitgeber muss unter Umständen für einen langen Zeitraum Lohn nachzahlen.
Fazit für die Praxis: Viele Unternehmen werden keine Praktika mehr anbieten
Für Unternehmen wird die Beschäftigung von Praktikanten zu einem nicht mehr kalkulierbaren Risiko, soweit diese sich nicht den eindeutigen Ausnahmen des Mindestlohngesetzes zuordnen lassen und über einen Zeitraum von drei Monaten hinausgehen. Für einen Zeitraum von drei Monaten werden sich Praktika aber in vielen Fällen nicht lohnen. Hier ist der Einarbeitungsaufwand für die Unternehmen zu groß. Unternehmen, die Praktikanten bislang ausgenutzt haben, um ihre Lohnzahlungsverpflichtungen zu umgehen, werden dies künftig mit einem erheblich höheren Risiko tun. Anderseits werden aber auch viele Möglichkeiten wegfallen, sich im Rahmen eines relativ unverbindlichen Praktikums Fähigkeiten anzueignen bzw. einen Berufseinstieg zu finden.
Fazit für den Arbeitnehmerbegriff: Weitere Unsicherheiten geschaffen
Die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und echten Selbständigen führt bereits heute in der Praxis zu erheblichen Rechtsunsicherheiten und teilweise schwer kalkulierbaren Risiken für die Unternehmen. Das Mindestlohngesetz mit seinem neuen Beitrag zum Arbeitnehmerbegriff könnte hier zusätzlich für Verwirrung und Rechtsunsicherheit sorgen.
13.10.2014
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