Grundrisse, Orientierungssysteme, Beleuchtung
Eine aktuelle Studie (publiziert im März 2021) ist in vier Gruppendiskussionen mit Pflegekräften in Kanada und Schweden der Frage nachgegangen, wie wichtig Raumgestaltung und Architektur für Pflegeeinrichtungen sind, in denen demenziell veränderte Menschen leben. Es wurden Fragen diskutiert zu den Auswirkungen der physischen Umgebung auf die Pflegepraxis, die Arbeitszufriedenheit und die Interaktion mit den Bewohnern.
Drei Aspekte von Architektur und Raumgestaltung haben nach Meinung der Pflegefachpersonen erhebliche Auswirkungen auf die soziale Interaktion und die Pflegepraxis:
(i) die Raumgestaltung,
(ii) der Grundriss, die räumliche Anordnung der verschiedenen Bereiche,
(iii) die sensorischen Reize.
Die Ergebnisse zeigen, dass gut gestaltete Räume (d.h. eine wohnliche Atmosphäre), ein grosszügiger offener Grundriss und ein anregender Innenhof aus Sicht der Pflegekräfte wichtig sind. Diese Faktoren würden die Emotionen des Personals wie auch der Bewohner positiv stimulieren, was zur Stärkung von Vertrauen und Beziehungen und zur Erhöhung der Arbeitszufriedenheit führe.
Wenn sich das Personal durch ein gutes Ambiente auf der Station wohlfühle, sei es höher motiviert, was zu einer besseren Pflegequalität führe.
Im Hinblick auf den Grundriss wünschen sich die Studienteilnehmer Lösungen, mit möglichst kurzen Gehstrecken, um die Gehbelastung zu verringern. Gemeinschaftsräume sollten nach Möglichkeit offen angelegt sein, um die Bewohner leicht im Auge zu behalten und um auf ungewohntes Verhalten oder Bewegungen schnell reagieren zu können.
Die Studienteilnehmer machten zudem auf die Bedeutung der Akustik aufmerksam. Ein niedriger Lärmpegel und vertraute Hintergrundmusik hätten nach ihren Erfahrungen positive Effekte für Bewohner mit Demenz.
Als wichtige Schlussfolgerung empfiehlt die Studie, das Personal stärker in die architektonische Gestaltung von Pflegeeinrichtungen einzubinden, um von deren konkreten Erfahrungen zu profitieren.
Weitere empirische Ergebnisse zur Architektur von Pflegeeinrichtungen
Einer der Autoren der Untersuchung – Habib Chaudhury – hat 2018 in einer Veröffentlichung mit Kollegen 94 empirische Studien zur Raumgestaltung, Akustik, Licht usw. systematisch ausgewertet. Nachfolgend finden sie die wichtigsten Ergebnisse.
Empfehlungen zur Zahl der Bewohner in Demenz-Wohnbereichen
Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass kleine Wohngruppen für demente Menschen deutliche Vorteile für das Wohlbefinden der Bewohner haben. Als Orientierungsgrösse kann man die Spanne von 5 bis 15 Bewohnern ansetzen. Gruppen oder Häuser mit mehr als 20 Bewohnern zeigen negative Effekte auf das Verhalten und kognitive Parameter der Bewohner.
Grundrisse, Wegeführung
Raumaufteilung, Wegeführung und Orientierungshilfen können stark beeinflussen, wie selbständig sich demente Menschen in ihrer Umgebung zurecht finden. Ein Forschungsergebnis ist relativ klar: Lange, gerade Gänge sind für demente Bewohner keine gute Lösung. Sie verstärken Unruhe, Mangel an Vitalität und Verlust der Identität. Als Alternativen werden L- und H-förmig angeordnete Wege empfohlen. Man sollte allerdings berücksichtigen, dass Lösungen, bei denen mehrere Richtungsänderungen notwendig sind, die Orientierung erschweren können.
Leitsysteme / Orientierungssysteme
Eine Studie fand, dass Orientierungshilfen, die Farben nutzen, für die Bewohner wenig nützlich waren. Hilfreicher waren z.B. grosse Zahlen auf dem Boden, um zu erkennen, in welchem Stockwerk man sich befindet. Ebenso nützlich wurden sogenannte „Merk- und Wahrzeichen“ erlebt, z.B. charakteristische Möbelstücke. Der Name eines Bewohners an der Zimmertür sollte in einer Schriftgrösse von mind. 22 mm geschrieben sein.
Akustik, Lärmpegel, Geräusche
Geräusche und Lärm gelten allgemein als Stressfaktoren. Dies gilt um so mehr für demenziell veränderte Menschen. Sie reagieren auf Stress durch Lärm u.a. mit verminderter sozialer Interaktion, erhöhter Unruhe und Aggression, störendem Verhalten und Umherwandern. Architekten und Raumgestalter sollten deshalb Vorkehrungen treffen, dass unvermeidlicher Lärm bestmöglich gedämpft wird. Zusätzlich sollte das Pflegepersonal sensibel sein im Hinblick auf vermeidbaren Lärm, z.B. Gegensprechanlagen, klingelnde Telefone, Gespräche des Personals, die nicht mit den Bewohnern geführt werden, laute Fernseher und andere Geräte.
Beleuchtung, Licht
Licht ist für jeden Menschen in mehrfacher Hinsicht wichtig, u.a. steuert es unseren Tag-Nacht-Rhythmus, es kann beeinflusst unseren emotionalen Zustand, es hilft uns bei der Bewältigung von Sehaufgaben. Aufgrund von Veränderungen im Auge, erreicht im Alter immer weniger Licht die Netzhaut. Deshalb sind alte Menschen in vielen Situationen auf höhere Beleuchtungsstärken angewiesen, um sich wohlzufühlen oder bestimmte Aufgaben erledigen zu können.
Sechs der von Habib Chaudhury et al. ausgewerteten Studien nennen u.a. folgende positive Effekte einer sehr hellen Beleuchtung für demenziell erkrankte Menschen: verbesserte Qualität des zirkadianen Rhythmus und der Stimmung, verbesserte Qualität des nächtlichen Schlafs, erhöhte Wachheit am Tag, verringerte Unruhe und weniger störendes Verhalten. Vorgeschlagen werden für Innenräume, in denen die Bewohner den Tag verbringen, Beleuchtungsstärken zwischen 2.500 bis 10.000 Lux. In Speiseräumen könne dies zu erhöhter sozialer Interaktion und verbesserter Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme führen.
„Ist das nicht zu hell?“
Junge Menschen können sich oft nicht vorstellen, wie viel Helligkeit alte Menschen benötigen, um adäquate Sehleistungen zu erbringen. Dies war auch der Fall bei einem Pilotprojekt der Schyns Medizintechnik GmbH, einem Unternehmen, das auf Beleuchtungslösungen für Kliniken und Pflegeeinrichtungen spezialisiert ist. Um die Verantwortlichen zu überzeugen, dass die vorgeschlagene Beleuchtungsstärke nicht zu hell war, nutzte man eine Katarakt-Simulationsbrille der Age Suit Germany GmbH. „Im Anschluss waren sich die Beteiligten einig, dass „zu hell“ ein sehr individuelles Erlebnis ist“ und nicht von Menschen mit jungen Augen beurteilt werden kann. Entscheidend ist allein, wie viel Licht ein alter Mensch benötigt, um bestimmte Sehleistungen zu erbringen und sich wohl zu fühlen.
Autor: Gundolf Meyer-Hentschel
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