„Schmerzensgeld“ bei mangelhafter Auskunft über gespeicherte Daten?

"Schmerzensgeld" bei mangelhafter Auskunft über gespeicherte Daten?

Ingrid Heinlein, Vors. Richterin a. LAG a.D., Rechtsanwältin Windirsch, Britschgi & Wilden

Erteilt der Verantwortliche (Arbeitgeber) der betroffenen Person (Arbeitnehmer) eine nach Art. 15 DS-GVO gewünschte Auskunft verspätet oder unvollständig, kann die betroffene Person von dem Verantwortlichen Ersatz ihres immateriellen Schadens verlangen. Die Rechtsverletzung muss nicht „erheblich“ sein.

(Leitsatz der Verfasserin)
LAG Niedersachsen, Urteil v. 22.10.2021 – 16 Sa 761/20
Revision zugelassen;
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 18.11.2021 – 10 Sa 443/21
zugelassene Revision eingelegt

Ausgangsfälle:
Im niedersächsischen Fall kam es zum datenschutzrechtlichen Streit, nachdem eine fristlose Kündigung drohte. Kläger war der frühere Chefentwickler für Diesel-Aggregate bei VW.
Im Fall des LAG Berlin-Brandenburg ging der datenschutzrechtliche Streit von einer Abmahnung und einer Versetzung aus, die nicht Gegenstand des Rechtsstreits sind.

zum Anspruch auf „Schmerzensgeld“
LAG Niedersachsen: Im Jahr 2018 erfuhr der Kläger, dass die Beklagte Daten an eine US-Behörde übermittelt hatte, obwohl er dies vorher abgelehnt hatte. Mit Schreiben vom 09.08.2018 verlangte er Auskunft nach Art. 15 Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO). Mit Schreiben vom 26.09.2018 teilte die Beklagte mit, sie werde von der Verlängerungsmöglichkeit um 2 Monate Gebrauch machen. Mit Schreiben vom 15.10.2018 antwortete sie und übermittelte Kopien von 938 teilweise anonymisierten und geschwärzten Dokumenten.
LAG Berlin-Brandenburg: Mit Anwaltsschreiben vom 22.07.2019 forderte der Kläger von der Beklagten in Bezug auf die Unterrichtung des Betriebsrats und dessen Zustimmung zur Versetzung und zu dem Vorfall, der zur Abmahnung geführt hatte, Auskunft nach Art. 15 DS-GVO. Mit Schreiben vom 23.08.2019 übermittelte die Beklagte dem Anwalt Kopien über die Unterrichtung und Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung und im Hinblick auf die Abmahnung die Kopie einer Stellungnahme eines Zeugen.
Beide Gerichte haben entschieden, dass der Kläger Anspruch auf Ersatz seines immateriellen Schadens wegen Verstößen des Arbeitgebers gegen die DS-GVO hat.
Nach Art. 15 DS-GVO hat die betroffene Person, wenn der Verantwortliche sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet, ein Recht auf entsprechende Auskunft und weitere Informationen (u.a. Verarbeitungszwecke, Kategorien der verarbeiteten personenbezogenen Daten, Empfänger, gegenüber denen die Daten offengelegt wurden oder noch werden, geplante Dauer der Speicherung). Das Auskunftsverlangen muss unverzüglich, in jedem Fall aber binnen eines Monats nach Eingang des Antrags beantwortet werden. Eine Verlängerung um 2 Monate ist möglich, wenn dies unter Berücksichtigung der Komplexität und der Anzahl von Anträgen erforderlich ist, wobei innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags über die Fristverlängerung und die Gründe für die Verzögerung zu informieren ist (Art. 12 Abs. 3 DS-GVO).
Nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter.
Das LAG Niedersachsen hat den Antrag des Klägers so ausgelegt, dass es ihm nur um Ansprüche nach der 2018 in Kraft getretenen DS-GVO geht. In Bezug auf seinen Antrag vom 09.08.2019 hat die Beklagte die Frist zur Auskunftserteilung nicht eingehalten. Die einmonatige Frist war nämlich bereits abgelaufen, bevor die Mitteilung über die Verlängerung bei den Anwälten des Klägers einging. Außerdem war die Auskunft nicht vollständig, weil die übermittelten Dokumente keine Informationen über die Empfänger enthielten, denen gegenüber die personenbezogenen Daten offengelegt wurden bzw. noch werden sollten. Zudem habe die Beklagte nicht hinreichend dargelegt, dass sie zur eingeschränkten Auskunft berechtigt war (z.B. Vorliegen eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses, § 34 BDSG).
Die Information über eine etwaige Weitergabe der Daten und weitere Informationen, z.B. über die Dauer der Speicherung, hatte auch die Beklagte im Fall des LAG Berlin-Brandenburg nicht übermittelt.
In beiden Fällen ergab sich damit ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO (LAG Niedersachsen: 250 Euro wegen der Verzögerung und 1000 Euro, weil die Auskunft unvollständig war; LAG Berlin-Brandenburg: 2000 Euro). Dass der Verstoß „erheblich“ sein müsse, so die LAG, ergebe sich aus DSG-VO nicht.

Fazit:
Es ist streitig, ob auch geringfüge Verstöße gegen die DS-GVO zu einem Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens führen. In einer Vorlage an den EuGH zur Verarbeitung von Gesundheitsdaten – 8 AZR 253/20 (A) – vertritt das BAG dieselbe Auffassung wie die LAG. Offen ist allerdings, wie der EuGH entscheidet. Auf seine Entscheidung kommt es an, da es sich bei der DS-GVO um eine EU – Verordnung handelt, deren Auslegung in Zweifelfällen dem EuGH obliegt.

Ingrid Heinlein
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