Verfassungsgericht erkennt über weitere Covid-19-Vorgaben

Verfassungsgericht erkennt über weitere Covid-19-Vorgaben

(Bildquelle: @pexels.com)

1. Maskenpflicht im September 2020 im Handel nicht gesetzwidrig (VfGH 10.6.2021, V 35/2021)

Diese Entscheidung erging aufgrund eines Antrags des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich, welches die Feststellung begehrte, dass § 2 Abs 1a erster Satz der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden (COVID-19-Lockerungsverordnung; BGBl II 197/2020 idF BGBl II 398/2020), gesetzwidrig war. Diese Bestimmung schrieb das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Kundenbereich in geschlossenen Räumen von Betriebsstätten vor und war vom 14.9.2020 bis 20.9.2020 in Kraft.

Der VfGH wies den Antrag allerdings ab. Begründet wurde dies damit, dass der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz nach Ansicht des VfGH hinreichend nachvollziehbar im Verordnungsakt festgehalten hatte, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände er das Erlassen der infragestehenden Vorschrift für erforderlich gehalten hatte. Aufgrund dessen konnte der VfGH keinen Verstoß gegen § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz – welcher den Verordnungsgeber zur nachvollziehbaren Festhaltung der Informationsbasis, aufgrund derer die entsprechende Maßnahme erlassen wurde, verpflichtet – feststellen.

2. Verbot von „Click & Collect“ im Herbst 2020 verhältnismäßig (VfGH 24.6.2021, V 592/2020)

Die IKEA MÖBELVERTRIEB OHG beantragte, § 5 Abs 1 Z 1 der COVID-19-Notmaßnahmenverordnung (COVID-19-NotMV; BGBI II 479/2020 idF BGBI II 528/2020), als gesetzwidrig aufzuheben. § 5 Abs 1 Z 1 COVID-19-NotMV verbot das Betreten und Befahren des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels zum Zweck des Erwerbs von Waren und somit auch das sog „Click and Collect“, das heißt das Abholen bereits vorab bezahlter Waren direkt von der Betriebsstätte durch den Kunden.

Der Antragsteller brachte unter anderem vor, dass die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung aufgrund mangelnder Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen, der Verletzung des Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Gleichheitssatz) sowie der Verletzung des Rechts auf Erwerbsfreiheit bzw Unversehrtheit des Eigentums zu bezweifeln sei.

Dementgegen war der VfGH der Ansicht, dass der für das Gesundheitswesen zuständige Bundesminister seiner Dokumentationspflicht hinreichend nachgekommen war. Des Weiteren stellte er fest, dass zwar ein mit dem angefochtenen Verbot verbundener Eingriff in das Grundrecht der Erwerbsfreiheit und in das Grundrecht auf Eigentum vorlag, dieser allerdings angesichts der epidemiologischen Lage verhältnismäßig war, da er den legitimen im öffentlichen Interesse stehenden Zweck verfolge, die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern und die Funktionsfähigkeit der Gesundheitsinfrastruktur aufrechtzuerhalten, wobei die eingeführte Maßnahme zur Reduktion persönlicher zwischenmenschlicher Kontakte führen konnte, sohin ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieser Ziele vorlag. Dies, zumal die infragestehende Maßnahme bloß für eine kurze Zeitspanne von zehn Tagen normiert wurde und der Onlinevertrieb – wie er bei Einrichtungshäusern üblich ist – zu jedem Zeitpunkt erlaubt war. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung überwog dem Gerichtshof zufolge somit die Schwere der gesundheitspolitischen Zielsetzungen das Gewicht des Eingriffs in die entsprechende Grundrechtsposition des Antragstellers. Die Erforderlichkeit der Erlassung des angefochtenen Verbots zeigte sich dem VfGH zufolge auch darin, dass der Gesundheitsminister zuvor noch den Versuch unternommen hatte, die Verbreitung von COVID-19 durch das Erlassen gelinderer Maßnahmen zu unterbinden.

Eine unsachliche Ungleichbehandlung aufgrund des Umstands, dass in derselben Zeitspanne die Abholung von Speisen und Getränken – im Gegensatz zur Abholung anderer Güter, etwa von Möbeln – zulässig war, verneinte der VfGH mit der Begründung, dass Speis und Trank notwendige Güter der Grundversorgung darstellten, deren ständige Verfügbarkeit als essenziell und somit „systemrelevant“ anzusehen sei, was bei Möbeln und weiteren Einrichtungsgegenständen nicht der Fall sei.

3. Ausweichen auf Online-Handel war Papierhandel zumutbar (VfGH 24.6.2021, V 593/2020)

Eine Handelsgesellschaft begehrte in diesem Fall in ihrem Hauptantrag – neben weiteren Eventualbegehren – die Aufhebung des § 5 Abs 1 Z 1 der COVID-19-Notmaßnahmenverordnung (COVID-19-NotMV; BGBl II 479/2020 idF BGBl II 528/2020) als gesetzwidrig. Diese Bestimmung sah ein Betretungsverbot des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels zum Zweck des Erwerbs von Waren vor.

Der Antragsteller erachtete die Gesetzwidrigkeit des angefochtenen Betretungsverbots primär in der Unsachlichkeit der vom Bundesminister festgelegten Ausnahmen von diesem Verbot, welche für den Papier- und Schreibwarenhandel nicht normiert worden waren – obwohl diese Güter, der Ansicht des Antragstellers zufolge, wie die übrigen Bereichsausnahmen der Bestimmung, zur Grundversorgung gehörten. Ferner brachte der Antragsteller vor, dass die angefochtene Norm einen Verstoß gegen die Erwerbsfreiheit, Eigentumsgarantie und den Gleichheitssatz verstießen.

Der VfGH geht zunächst davon aus, dass dem Verordnungsgeber ein weiter Entscheidungsspielraum bei Fragen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie zur Verfügung stehe.

Des Weiteren konnte der Gerichtshof in dem Fehlen einer Ausnahme vom angefochtenen Betretungsverbot für Betriebe, die mit Papier- und Schreibwaren handeln, keinen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz aufgrund von unsachlicher Ungleichbehandlung erkennen. Begründend führte der VfGH hierzu aus, dass Papier- und Schreibwaren zwar für das alltägliche Leben eines großen Teils der Bevölkerung, der sich während der Dauer der COVID-19-Pandemie im Home-Office oder im Distanzunterricht befinde, von besonders großer Bedeutung sei. Im Rahmen einer Durchschnittsbetrachtung konnte der Verordnungsgeber allerdings, der Ansicht des VfGH zufolge, vertretbar davon ausgehen, dass ein – temporäres – Ausweichen auf den Onlinehandel für Kunden von Papier- und Schreibwarenhändlern eher zumutbar war als für jene anderer in § 5 Abs 4 COVID-19-NotMV normierter Bereichsausnahmen wie bspw Kunden von Betrieben, die Sicherheits- und Notfallprodukte veräußern (Z 9 leg cit). Der VfGH konnte somit keine Überschreitung des an sich weiten Entscheidungsspielraums des Gesundheitsministers feststellen. Auch einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Erwerbsfreiheit oder das Grundrecht auf Eigentum des Antragstellers konnte der VfGH in diesem Fall nicht feststellen.

4. Beschränkung der Teilnehmerzahl bei Begräbnissen gesetzwidrig, Betretungsverbot bei körpernahen Dienstleistern hingegen gesetzeskonform (VfGH 24.6.2021, V 2/2021)

12 Abs 1 Z 7 2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung (2. COVID-19-NotMV); BGBl II 598/2020), bestimmte, dass an Begräbnissen maximal 50 Personen teilnehmen durften. Eine oberösterreichische Antragstellerin, welche am Begräbnis ihrer Tante nicht teilnehmen durfte, focht – neben anderen Bestimmungen – diese Bestimmung der Verordnung als verfassungswidrig an, welche von 26. Dezember 2020 bis 24. Jänner 2021 in Kraft gewesen war.

Dem VfGH zufolge war diese Begrenzung auf höchstens 50 Personen aufgrund einer Gesamtbetrachtung unverhältnismäßig. Der Gerichtshof argumentierte nämlich, dass die Teilnehmerbeschränkung zwar legitime Zwecke verfolge, und die angeordnete Beschränkung der Teilnehmerzahl auch geeignet war, diese Ziele zu erreichen. Allerdings sei die letzte Verabschiedung von verstorbenen nahen Angehörigen weder wiederholbar noch anderweitig substituierbar. Aus diesem Grund bilde eine derartige Beschränkung auf höchstens 50 Teilnehmer an einem Begräbnis einen besonders schweren Eingriff in das Recht auf Privatleben, welches Art 8 EMRK garantiert. Die gebotene Verhältnismäßigkeit der Anordnung sei nicht gegeben, sodass die entsprechende Bestimmung aufgehoben wurde.

Neben § 12 Abs 1 Z 7 2. COVID-19-NotMV hatte die Antragstellerin auch weitere Bestimmungen, unter anderem § 5 Abs 1 Z 2 2. COVID-19-NotMV, als verfassungswidrig angefochten. § 5 Abs 1 Z 2 2. COVID-19-NotMV normierte ein Verbot des Betretens und Befahrens des Kundenbereichs von Dienstleistungsunternehmen zur Inanspruchnahme von körpernahen Dienstleistungen (zB Massage, Friseure, etc). Dieses befand der VfGH aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt vorhandenen epidemiologischen Gegebenheiten allerdings als sachlich gerechtfertigt.

5. Take-away-Verbot auf Schihütten in Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg gesetzwidrig (Vfgh 23.9.2021, V 5/2021; 6.10.2021, V 7/2021; 6.10.2021, V 17/2021)

Auch ein Heiligtum der österreichischen Kultur stand bereits im Licht der Rechtsprechung des VfGH: Das vermeintliche Grundrecht, skizufahren und nachher dem zünftigen Apres-Ski zu frönen. In Oberösterreich und Tirol erdreisteten sich die jeweiligen Landeshauptmänner, dieses Recht zu beschneiden:

Gemäß § 1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Oberösterreich, mit der zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 eine zusätzliche Maßnahme in Schigebieten festgelegt wird, LGBl 141/2020, war die Abholung von Speisen und Getränken bei Schihütten untersagt, die für die Allgemeinheit nicht mit Kraftfahrzeugen über eine öffentliche Straße erreichbar waren. Diese Bestimmung hatte den Zweck, Menschenansammlungen im Nahebereich von Gaststätten in Schigebieten zu vermeiden sowie sohin eine Ansteckung mit COVID-19 zu verhindern.

Allerdings war es Gastgewerbebetrieben, welche sich an allgemein befahrbaren Straßen – wie beispielsweise an der Talstation eines Schiliftes – in Schigebieten befanden, sehr wohl erlaubt, Speisen und Getränke zur Abholung anzubieten. Begründet wurde diese Differenzierung in den Verordnungsakten mit dem Argument, dass es in letzteren Betrieben oftmals einen größeren angeschlossenen Parkplatz gäbe, aufgrund dessen konsumierenden Personen mehr Platz zur Verfügung stünde.

In diesem Kriterium der (Nicht)Erreichbarkeit einer Schihütte über öffentliche Straßen erkannte der VfGH allerdings keinen sachlichen Grund für eine Differenzierung zwischen Schihütten, welche sich in der Talstation, und solchen, welche sich beispielsweise auf der Bergstation befanden. Denn der Umstand, dass eine Schihütte über eine derartige Straße erreichbar ist, gibt dem VfGH zufolge, allein noch keinen verlässlichen Aufschluss darüber, ob im Nahbereich der Hütte tatsächlich genügend Platz zum Konsumieren der erworbenen Speisen und Getränke – bei gleichzeitiger Wahrung der vorgeschriebenen Mindestabstände – zur Verfügung steht oder nicht. Aus diesem Grunde erkannte der VfGH, dass die entsprechende Verordnung gegen das Sachlichkeitsgebot, welches aus dem Gleichheitsgrundsatz abgeleitet wird, verstoße.

Auch die Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 in Schigebieten in Tirol (LGBl 142/2020) sowie § 2 der Verordnung des Landeshauptmannes von Vorarlberg über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 (LGBl 92/2020), welche ein sinngemäßes Take-Away-Verbot vorsahen, erkannte der VfGH aus denselben Gründen als gesetzwidrig.

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Dies ist ein Fachartikel der Schmelz Rechtsanwälte OG. Auf der Website der Anwaltsgesellschaft finden Sie weitere Informationen über das im Rahmen der Covid-19-Normengebung mehrfach verletzte Determinierungsgebot sowie eine umfassende Darstellung der Rechtsprechung des VfGH zu einschlägigen regulatorischen Vorgaben.

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