Zeitbombe Insolvenzanfechtung

Gläubiger sollten Nachteile bei einer Insolvenzanfechtung präventiv vermeiden, indem sie sich durch entsprechende Vertragsgestaltung absichern.

BildDie industriellen Herzkammern unserer Republik flimmern. Eines der Kronjuwelen der deutschen Wirtschaft, der VW-Konzern, verkündet der erstaunten Öffentlichkeit das bislang Unvorstellbare: Werkschließungen! Überall häufen sich schlechte Zahlen, und alle Indikatoren geben wenig Anlass zur Hoffnung auf eine baldige Verbesserung der Lage. Die drängende Frage ist nur noch, wie lange das tiefe Tal der Rezession andauern wird. Im ersten Halbjahr 2024 registrierte die Creditreform 11.000 Unternehmensinsolvenzen. Im Vergleich zum Vorjahr mit 8.470 Fällen entspricht dies einem Anstieg von fast 30 Prozent und gleichzeitig dem höchsten Stand seit fast zehn Jahren. Zugleich sind die Zahl und der Umfang der Insolvenzanfechtungen stark angestiegen.

Doch was ist eine Insolvenzanfechtung? Die Insolvenzanfechtung ist ein rechtliches Instrument im deutschen Insolvenzrecht. Sie dient dazu, Rechtshandlungen rückgängig zu machen, die vor einer Insolvenz vorgenommen wurden, damit nicht die Gesamtheit der Gläubiger eines in die Insolvenz geratenen Unternehmens zugunsten einzelner Gläubiger benachteiligt wird. Durch die Insolvenzanfechtung kann der Insolvenzverwalter Zahlungen, Übertragungen oder andere Vermögensverfügungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden, anfechten und das Vermögen zurückfordern, um es für eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger bereitzustellen.

Mit der Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999 wurde das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters im Vergleich zur früheren Konkursordnung erweitert und verschärft. Ziel dieser Maßnahme war es unter anderem, die Zahl der Verfahrenseröffnungen zu erhöhen und eine Abwicklung im Insolvenzverfahren zu ermöglichen – insbesondere im Hinblick auf die Restrukturierung und Sanierung des insolventen Schuldners. Dies bedeutet, dass Gläubiger auch für Zahlungen, die sie schon lange zuvor von ihren Schuldnern erhalten haben, zur Rückerstattung im Rahmen des Insolvenzverfahrens verpflichtet werden können. Der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger wird somit auf einen Zeitpunkt vor dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vorverlagert. In den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag können Insolvenzverwalter Rückforderungen vergleichsweise leicht durchsetzen.Es ist unbestreitbar, dass diese rechtliche Möglichkeit, nicht zuletzt auch im Hinblick auf ihre Honorare, von Insolvenzverwaltern intensiv genutzt wird. Oft wird in diesem Zusammenhang behauptet, dass Gläubiger nach Abschluss des Verfahrens davon profitieren, da das sanierte und restrukturierte Unternehmen als Kunde erhalten bliebe. In der Praxis sieht dies jedoch oft anders aus: Häufig wird das insolvente Unternehmen im Rahmen eines Change Managements mit einem neuen Geschäftsmodell wieder in den Markt gebracht.

Viele Gläubiger empfinden die Insolvenzanfechtung als ungerecht, da sie unter bestimmten Umständen dazu gezwungen werden, bereits erhaltene Zahlungen oder Sicherheiten zurückzugeben, obwohl sie diese in gutem Glauben angenommen haben. Dies wird als Enteignung wahrgenommen. Der Schutz von Eigentumsrechten war und ist ein Grundpfeiler einer funktionierenden Gesellschaft.

Die Hauptgründe, warum die Insolvenzanfechtung als ungerecht empfunden wird, sind:
Erstens: Rückforderung bereits erhaltener Zahlungen
Viele Gläubiger haben möglicherweise lange auf Zahlungen gewartet und erhebliche Anstrengungen unternommen, um ihre Forderungen einzutreiben. Wenn diese Zahlungen dann angefochten werden und sie das Geld zurückzahlen müssen, fühlen sie sich bestraft, obwohl sie einfach nur ihr Recht auf Zahlung durchgesetzt haben. Das kann besonders ärgerlich sein, wenn die Zahlungen lange Zeit vor der Insolvenz des Schuldners geleistet wurden.
Zweitens: Lange Anfechtungszeiträume
Die Insolvenzanfechtung kann sich auf Rechtshandlungen erstrecken, die mehrere Jahre zurückliegen. So erlaubt beispielsweise die Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung (§ 133 InsO) die Rückforderung von Zahlungen, die bis zu zehn Jahre vor dem Insolvenzantrag geleistet wurden. Diese langen Zeiträume erschweren es den Gläubigern, die Rechtmäßigkeit einer Zahlung zu beurteilen oder geeignete Vorsorgemaßnahmen zu treffen.
Drittens: Ungewissheit und Rechtsunsicherheit
Die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung führt für Gläubiger zu ständiger Unsicherheit darüber, ob sie empfangene Zahlungen oder Sicherheiten tatsächlich behalten dürfen. Diese Unsicherheit kann die Geschäftsbeziehungen belasten und zusätzlichen administrativen Aufwand verursachen, da Gläubiger ständig die Zahlungsfähigkeit ihrer Geschäftspartner überwachen müssen.
Viertens: Besonders harte Auswirkungen auf kleinere Gläubiger
Kleinere Gläubiger, wie kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), sind oft besonders betroffen. Für sie kann eine Rückforderung existenzgefährdend sein, da sie möglicherweise nicht über genügend Liquidität verfügen, um erhaltene Beträge zurückzuzahlen. Größere Gläubiger oder Banken verfügen in der Regel über mehr finanzielle Ressourcen und bessere rechtliche Beratung, um solche Situationen zu bewältigen.
Fünftens: Unverhältnismäßigkeit
Ein weiteres Argument gegen die als ungerecht empfundene Insolvenzanfechtung ist, dass sie oft unverhältnismäßig erscheint. Ein Gläubiger, der in gutem Glauben eine fällige Zahlung erhalten hat, könnte gezwungen sein, diese zurückzuzahlen, obwohl er keinerlei Anzeichen für die drohende Insolvenz des Schuldners erkennen konnte. Aus Sicht der betroffenen Gläubiger ist es ungerecht, im Nachhinein für Entscheidungen „bestraft“ zu werden, die unter normalen Geschäftsbedingungen getroffen wurden.
Sechstens: Kosten und Aufwand der Rückforderung
Ist eine Anfechtung erfolgreich, muss der Gläubiger den empfangenen Betrag zurückzahlen, was häufig mit erheblichen Kosten und zusätzlichem Aufwand verbunden ist. Zudem könnte der Gläubiger bereits Steuern auf die erhaltene Zahlung entrichtet haben, die nun schwer zurückzufordern sind, oder er hat bereits eigene Verbindlichkeiten aus den erhaltenen Mitteln beglichen.
Siebtens: Mangelnde Transparenz und Verständlichkeit des Verfahrens
Viele Gläubiger empfinden das Verfahren der Insolvenzanfechtung als komplex und intransparent. Die rechtlichen Grundlagen und Voraussetzungen für eine Anfechtung sind für juristische Laien oft schwer verständlich. Die Inanspruchnahme von Fachanwälten, die in der Regel auf Stundenbasis abrechnen, ist teuer und verstärkt das Gefühl, unfair behandelt zu werden, weil die Gläubiger nicht immer nachvollziehen können, warum eine Anfechtung gegen sie erfolgreich war.

Der Insolvenzverwalter muss bei der Insolvenzanfechtung bestimmte Fristen beachten, die in der deutschen Insolvenzordnung (InsO) festgelegt sind. Diese Fristen beziehen sich sowohl auf den Zeitraum, innerhalb dessen eine Anfechtung möglich ist, als auch auf den Zeitpunkt, bis zu dem eine Anfechtungsklage erhoben werden muss. Im Folgenden sind die wichtigsten Fristen und Regelungen aufgeführt, die der Insolvenzverwalter einhalten muss:

Wie sind die Fristen bei der Insolvenzanfechtung geregelt?

Erstens: Anfechtungszeiträume gemäß Insolvenzordnung (insO)
Die Anfechtungstatbestände in der Insolvenzordnung (InsO) sind an bestimmte Zeiträume gebunden, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegen. Diese Zeiträume bestimmen, welche Handlungen angefochten werden können. Die wichtigsten Fristen und Regelungen sind:
o § 130 InsO (Kongruente Deckung): Zahlungen oder Leistungen, die ein Gläubiger in der ihm zustehenden Form erhalten hat, können angefochten werden, wenn sie innerhalb der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag erfolgten und der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte.
o § 131 InsO (Inkongruente Deckung): Zahlungen oder Leistungen, die einem Gläubiger nicht in der vereinbarten Form zustanden, sind anfechtbar, wenn sie innerhalb der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag, innerhalb des letzten Monats oder nach dem Antrag geleistet wurden. Je kürzer der Zeitraum vor der Antragstellung, desto geringer sind die Anforderungen an die Kenntnis des Gläubigers über die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners.
o § 132 InsO (Unmittelbar nach Insolvenzantrag): Zahlungen, die nach der Stellung des Insolvenzantrags, aber vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden, können angefochten werden, wenn der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte.
o § 133 InsO (Vorsätzliche Benachteiligung): Rechtshandlungen, die bis zu zehn Jahre vor der Stellung des Insolvenzantrags vorgenommen wurden, sind anfechtbar, wenn sie in der Absicht erfolgten, die Gläubiger zu benachteiligen, und der Empfänger diesen Vorsatz kannte.
o § 134 InsO (Unentgeltliche Leistungen): Unentgeltliche Leistungen, die innerhalb der letzten vier Jahre vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden, sind anfechtbar.

Zweitens: Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage
Der Insolvenzverwalter muss eine Anfechtungsklage innerhalb bestimmter Fristen erheben, nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die wesentlichen Fristen sind:
o Dreijährige Verjährungsfrist (§ 146 InsO): Der Anspruch auf Rückgewähr einer anfechtbaren Leistung verjährt grundsätzlich nach drei Jahren. Diese Frist beginnt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das bedeutet, dass der Insolvenzverwalter die Anfechtung innerhalb von drei Jahren nach der Insolvenzeröffnung geltend machen muss.
o Kenntnisabhängige Verjährung: Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt jedoch erst zu laufen, wenn der Insolvenzverwalter von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen. Das bedeutet, dass die Frist nicht vor dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Insolvenzverwalter die Tatsachen, die die Anfechtung rechtfertigen, kennt.
o Maximalfrist von zehn Jahren (§ 146 Abs. 3 InsO): Unabhängig von der Kenntnis des Insolvenzverwalters verjähren Anfechtungsansprüche spätestens zehn Jahre nach ihrer Entstehung, in der Regel also zehn Jahre nach der angefochtenen Handlung.

Drittens: Besondere Fristen und Zeiträume bei der Anfechtung
o Eilverfahren: In einigen Fällen, insbesondere bei drohendem Vermögensverlust, kann der Insolvenzverwalter eine einstweilige Verfügung beantragen, um eine schnelle Sicherung der angefochtenen Vermögenswerte zu erreichen. Solche Eilverfahren unterliegen jedoch gesonderten Fristen, die meist sehr kurz sind (in der Regel wenige Wochen oder Monate).
o Berücksichtigung von Einspruchsfristen: Wenn der Insolvenzverwalter die Anfechtung schriftlich geltend macht und der Anfechtungsgegner widerspricht, müssen die gesetzlichen Fristen für den Einspruch oder die Verteidigung im Gerichtsverfahren berücksichtigt werden.
Gläubiger können davon ausgehen, dass die von den Verwaltern betriebenen Insolvenzanfechtungen weitestgehend rechtlich wasserdicht sind. Klagen dagegen sind aufwändig und kostenintensiv und für kleine bis mittelständische Unternehmen nur schwer zu stemmen. Der Insolvenzverwalter sitzt am längeren Hebel und kann Prozesskostenhilfe für das von ihm verwaltete insolvente Unternehmen beantragen und erhalten. In der Regel kann man sagen: Auch wenn es schwerfällt, vergessen Sie es.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bleiben dem Gläubiger?
Gläubiger sollten Nachteile bei einer Insolvenzanfechtung präventiv vermeiden, indem sie sich durch entsprechende Vertragsgestaltung absichern. In Kombination mit anderen Maßnahmen können Gläubiger ihre Forderungen vor dem Zugriff des Insolvenzverwalters retten. Gläubiger können vor allem präventiv tätig werden, um zukünftige Insolvenzausfälle zumindest zu reduzieren. Um sich gegen Insolvenzanfechtungen zu wehren, müssen sie ihren Anwälten die nötigen „Werkzeuge“ zur Verfügung stellen. Derzeit gibt es absehbar nur zwei präventive Maßnahmen, um den Schaden einer Insolvenzanfechtung zu minimieren. Große Unternehmen, die durch Fachanwälte und Wirtschaftsprüfer beraten werden, nutzen diese Möglichkeiten bereits. Diese Maßnahmen können, besonders in langjährigen Geschäftsbeziehungen, als hart empfunden werden, doch der Gesetzgeber bietet keine Alternativen. Letztlich geht es darum, den Schaden für das eigene Unternehmen so weit wie möglich zu begrenzen.
Verzicht auf Hilfsbereitschaft und Kulanz: Gläubiger können sich keine Großzügigkeit mehr leisten, da das Risiko besteht, dass diese am Ende teuer zu stehen kommt. Sobald Gläubiger von den Problemen ihres Kunden oder Mieters erfahren, sollten sie die Geschäftsbeziehung sofort beenden – auch auf die Gefahr hin, dass dies zu einer Insolvenz führt.
Sicherheiten durch Pfandrechte: Gläubiger können versuchen, sich durch Pfandrechte abzusichern, um das Risiko einer Rückforderung zu verringern. Eine bewährte Methode besteht darin, dass Gläubiger bei größeren Forderungen die Unternehmensanteile ihrer Schuldner verpfänden lassen. Im Falle einer drohenden Insolvenz verschafft die Verpfändung von Anteilen dem Gläubiger eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber anderen Gläubigern oder dem Insolvenzverwalter. Der Gläubiger kann sich so proaktiv in das Verfahren einschalten und möglicherweise die Kosten eines Insolvenzverfahrens abwenden.
Es ist erwähnenswert, dass die Kosten für Insolvenzverfahren in Deutschland im EU-Vergleich einen traurigen Spitzenplatz einnehmen. Durch die Verpfändung von Unternehmensanteilen kann sich der Gläubiger eine vorteilhafte Position sichern, da er gegenüber ungesicherten Gläubigern bevorzugt wird. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass gemäß eines Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) der § 166 (1) der Insolvenzordnung (InsO) in solchen Fällen keine Anwendung findet.
Der Gläubiger erlangt dadurch die Möglichkeit, das Unternehmen im Falle eines Verstoßes gegen die im Verpfändungsvertrag festgelegten Covenants im Wege einer öffentlichen Versteigerung zu erwerben. Nach dem Erwerb erhält er Zugang zu allen Geschäftsunterlagen und Unternehmensvorgängen, kann die Handlungen der bisherigen Geschäftsleitung überprüfen und mögliche persönliche Haftungsansprüche gegen die frühere Geschäftsführung identifizieren.
Die rechtliche Gestaltung einer Verpfändung muss ordnungsgemäß und transparent erfolgen. Es ist entscheidend, dass die Verpfändung formell korrekt durchgeführt und rechtlich wirksam eingetragen wird. Eine Verpfändung, die nicht ordnungsgemäß dokumentiert oder eingetragen ist, könnte nicht nur unwirksam sein, sondern auch als Versuch gewertet werden, andere Gläubiger zu benachteiligen, was zu einer Anfechtung führen könnte.
Der Deutschen Pfandverwertung ist diese Vorgehensweise aufgrund regelmäßiger Beauftragung mit der Versteigerung von Unternehmensanteilen aus der Praxis gut bekannt. Durch eine Kombination der genannten Maßnahmen können Gläubiger das Risiko einer Insolvenzanfechtung erheblich reduzieren. Wichtig ist es, frühzeitig aktiv zu werden.

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